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18. Dezember 2004

Verlegung der ersten „Stolpersteine“ in Mülheim an der Ruhr      

Die goldgelben Messingquadrate der „Stolpersteine“ sind nicht nur in Mülheim zu einem integralen Teil des Stadtbildes geworden. In mittlerweile mehr als eintausend deutschen Gemeinden und an vielen weiteren Orten weltweit erinnern die knapp 10 x 10 cm großen Mahnmale an die zahlreichen Opfer der nationalsozialistischen Gewalt. Geistiger Vater und Urheber des Projekts ist der Kölner Künstler Gunter Demnig, der Mitte der 1990er Jahre auf eigene Faust mit der Verlegung der kleinen Gedenksteine begann – zunächst noch illegal, da ohne Genehmigung, ab dem Jahr 2000 schließlich mit Zustimmung der jeweiligen Gemeindeverwaltung. Üblicherweise wird ein „Stolperstein“ am letzten frei gewählten Wohnort des Menschen verlegt, dem gedacht werden soll; eingraviert sind, soweit bekannt, Name, Lebensdaten und Todesumstände.

Dass dieses Projekt vor 15 Jahren auch seinen Weg nach Mülheim fand, ist vor allem den Schülerinnen und Schülern der Realschule Stadtmitte und ihrer engagierten Lehrerin Judith Koch zu verdanken. Aus Anlass ihres 75-jährigen Schuljubiläums beschäftigten sie sich 2003 mit der Vergangenheit ihrer Schule und stießen auf erschütternde Schriftstücke aus der Zeit des Nationalsozialismus. So fanden sie zum Beispiel Einträge in Klassenbüchern, Schulakten und Karteien, aus denen die verdeckte und offene Gewalt hervorging, die jüdischen Schülern und Schülerinnen zu dieser Zeit entgegengenschlug.

Das Interesse war geweckt, die Recherche wurde auch außerhalb der Schule fortgesetzt. Die Schüler und Schülerinnen sprachen mit Zeitzeugen und Zeitzeuginnen und holten sich professionelle Unterstützung bei der Historikerin Dr. Barbara Kaufhold, dem Mülheimer Stadtarchiv sowie dem Theologen Gerhard Bennertz, der sich seit den 1970er Jahren für die christlich-jüdische Zusammenarbeit einsetzt. So konnten sieben ehemalige Schülerinnen und Schüler der Realschule, Jahrgang 1919 bis 1924, ermittelt werden, die in den Konzentrationslagern Auschwitz und Dachau ermordet worden waren. Ermöglicht durch Spenden verlegte am 18. Dezember 2004 Gunter Demnig persönlich die ersten sieben Mülheimer „Stolpersteine“ in Gedenken an Fritz Cohn in der Georgstraße 24, an Gerhard Hirsch in der Eppinghofer Straße 133, an Helene Hirsch im Kohlenkamp 8, an Helga Meyer in der Bahnstraße 5, heute Bahnstraße 34a, an Ursula Meyer in der Bahnstraße 44, an Günter Pollmeier Scharpenberg 42 und an Max Saß in der Duisburger Straße 87.

2006 bildete sich ein Arbeitskreis „Stolpersteine“ aus Schülern, Lehrern sowie interessierten Bürgerinnen und Bürgern in der Mülheimer Initiative für Toleranz, um weitere Biografien zu erarbeiten. Dabei ging es nicht nur darum, die Lebensdaten zu ermitteln, sondern auch die Lebensumstände und das Schicksal der Betroffenen zu recherchieren. Für ihr ehrenamtliches Engagement erhielten die Mitglieder des Arbeitskreises im November 2011 den Hoffnungspreis des Evangelischen Kirchenkreises Mülheim an der Ruhr. 

„Stolpersteine“ werden in Mülheim an der Ruhr für alle Opfer des NS-Regimes verlegt. Deshalb finden sich im Stadtgebiet im Jahr 2019 neben den 124 Steinen, die an Opfer jüdischen Glaubens erinnern, 21 für politisch Verfolgte beziehungsweise Widerstandskämpfer, drei für so genannte „Bibelforscher“ (Zeugen Jehovas), fünf für Opfer der Euthanasie und sieben Steine, die an eine Sinti-Familie erinnern. 

Das von den Schülerinnen und Schülern der Realschule Stadtmitte 2004 initiierte Projekt machte Schule. Auch an der Realschule Mellinghofer Straße, an der Realschule Broich und am Gymnasium Broich wurden von engagierten Lehrerinnen und Lehrern Arbeitsgemeinschaften ins Leben gerufen, in denen interessierte Schüler und Schülerinnen außerhalb des Unterrichtes dem Schicksal Mülheimer NS-Opfer nachgingen. Im Rahmen dieser Aktivitäten konnten bis zum Jahr 2019 18 Stolpersteine verlegt werden. Außerdem entstand 2018 anlässlich des Gedenkens an die Reichspogromnacht am 9. November 1938 ein auf YouTube hochgeladener Dokumentarfilm einer ehemaligen Abiturientin des Gymnasiums Broich. Er zeigt die Herangehensweise an die Recherche zu den Biografien und schildert eingebettet in Spielfilmszenen, das Schicksal einer jüdischen Mülheimer Familie. Eine andere Schülerin beschäftigte sich als Facharbeit im Leistungskurs Geschichte mit dem Leben einer Mülheimerin aus einer sogenannten Mischehe, in der ein Ehepartner nicht jüdisch war.

Seit der ersten Verlegung 2004 erfolgten bis Mai 2019 insgesamt 13 weitere, überwiegend durch Privatspenden finanzierte Verlegungen, sodass 15 Jahre nach der ersten Verlegung, im Dezember 2019, 168 Steine an 92 Orten im Stadtgebiet zu finden sind. Die Biografien und weitere Informationen zu den „Stolpersteinen“ in Mülheim können hier abgerufen werden.

(Fü/Fe)