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Adam von Kamp

Am 26. November 1867 starb in Mülheim der Lehrer Hermann Adam von Kamp im Alter von 71 Jahren. Der am 15. September 1796 in Ruhrort geborene von Kamp unterrichtete seit 1814 bis zu seinem Tod an verschiedenen Mülheimer Schulen. Anlässlich seines goldenen Lehrerjubiläums 1864 wurde er mit dem roten Adlerorden ausgezeichnet und in der ganzen Stadt gefeiert. Während seiner 53 Berufsjahre hatte von Kamp in einer damals so kleinen Stadt wie Mülheim ganze Generationen unterrichtet und erfreute sich offenbar einer großen Beliebtheit. Doch dies erklärt nur zum Teil die hohe Wertschätzung, die sich insbesondere in den Ehrungen zu seinem Jubiläum ausdrückte.

Über seine Lehrtätigkeit hinaus betätigte sich von Kamp als Heimatforscher und schrieb sogar einige Abhandlungen über die Geschichte seiner Heimat. So erschien beispielsweise im Jahr 1852 das Büchlein "Das Schloss und die Herrschaft Broich. Sammlung geschichtlicher Merkwürdigkeiten". Seine "Beschreibung der Herrschaft Broich und des Kreises Duisburg" aus der Zeit um 1835 wurde jedoch erst 1966 vom Mülheimer Geschichtsverein veröffentlicht.

Bleibenden Ruhm über die Grenzen Mülheims hinaus erwarb sich von Kamp jedoch nicht durch seine heimatkundlichen Schriften oder seinen Beruf, sondern durch den Text des Liedes "Alles neu macht der Mai", den er 1829 veröffentlichte. Seine zahllosen Gedichte, für die er zu Lebzeiten sogar vom preußischen König Anerkennungsschreiben erhielt, sind heute längst vergessen. Dieses eine Lied wurde jedoch so populär, dass es zu den bekanntesten deutschen Volksliedern wurde und der Geschichtsverein ihm 100 Jahre nach seiner ersten Veröffentlichung im Witthausbusch einen Gedenkstein setzte.


2010 machte eine lange vergessene Erzählung von Kamps internationale Schlagzeilen. "Adelaide das Mädchen aus dem Alpengebirge", erschienen 1830, wurde von dem Frankfurter Germanisten Peter Büttner als literarische Vorlage der weltberühmten "Heidi"-Romane der Schweizer Autorin Johanna Spyri identifiziert. 

Bei Recherchen zu biedermeierlichen Kinderbuchillustrationen war Büttner zufällig auf das kleine Bändchen "Natur und Menschenleben" mit drei Erzählungen des Mülheimer Heimatforschers und –dichters Hermann Adam von Kamp aus der Zeit um 1830 gestoßen. Eine der abgedruckten Erzählungen mit dem schönen Titel "Adelaide, das Mädchen vom Alpengebirge" erinnerte Büttner sofort schon wegen des Namens und des Verweises auf die Alpen an die weltberühmte Heidi. Immerhin ist es von Adelaide über Adelheid – dem Taufnahmen der Kinderbuchheldin – zu Heidi nur ein kurzer Weg. Die Lektüre zeigte schnell weitere Parallelen auf: Adelaide lebt – wie Heidi – auf einer Alm bei ihrem Großvater, sie muss – wie Heidi – die Alm jedoch verlassen und leidet – ebenfalls wie Heidi – in der Fremde schlimmes Heimweh. Diese groben inhaltlichen Parallelen finden auch in Wortwahl und Satzstruktur sowie in entscheidenden Schlüsselszenen weitere Entsprechungen. Bemerkenswert ist dieser Befund vor allem deshalb, weil die literaturwissenschaftliche Forschung bislang davon ausging, dass Johanna Spyri ihren Roman "Heidis Lehr- und Wanderjahre" 1879 gleichsam wie im Rausch innerhalb weniger Wochen niedergeschrieben habe. Eine literarische Vorlage wurde zwar vereinzelt angenommen, konnte bislang aber nicht identifiziert werden. Nun scheinen die Dinge anders zu liegen. Peter Büttner vertritt nach Analyse beider Texte die These, Johanna Spyri habe den rund 50 Jahre älteren Text von Kamps gekannt und sich explizit aus dieser Vorlage bedient.

Erschlossen und verzeichnet aber dennoch von der Fachwelt bislang völlig unbeachtet "schlummerte" Adelaide zusammen mit anderen historischen Dokumenten aus dem Nachlass Hermann Adam von Kamps bis zu diesem Drehtag in den Magazinen unseres Stadtarchivs. Nachdem jedoch das Schweizer Fernsehen in seiner Sendung "Kulturplatz" am 7. April 2010 den Bericht aus dem Mülheimer Stadtarchiv gesendet hatte, war es mit dem Schlummer vorbei. "Auch das noch: Unser Heidi hat einen deutschen Vater" (Blick am Abend) titelte schon am selben Tag die Boulevardpresse in der Schweiz. In den folgenden Tagen regte sich vor allem in den Schweizer Medien ein zum Teil heftiger Widerstand gegen "die Mär vom Ur-Heidi" (Neue Zürcher Zeitung). In den nächsten Wochen fand sich die Nachricht von Heidis vermeintlichem Mülheimer "Vater", Hermann Adam von Kamp, tatsächlich in zahllosen Medienberichten wieder. Radiostationen, Fernsehsender und Internetblogs, aber auch Zeitungen von der Times bis zum Buxtehuder Tageblatt berichteten von dieser Entdeckung. Es sollen sogar japanische TV-Journalisten die Geschichte aufgegriffen haben...

Unumstritten ist Büttners These, nach der Johanna Spyri zwar nicht von von Kamp abgeschrieben, sich aber von seiner "Adelaide" hat inspirieren lassen, nicht. Ob sie zukünftig Anlass zu einer echten literaturwissenschaftlichen Debatte jenseits des Feuilletons geben wird, bleibt im Moment abzuwarten. Das Stadtarchiv steht in jedem Fall Verfechtern wie Kritikern gleichermaßen zur Verfügung. Und eines ist sicher: auch wenn es nicht jeder Schatz unseres Stadtarchivs auf die internationalen Titelseiten schafft: wir haben noch eine Menge spannender, faszinierender und einzigartiger Geschichten zu erzählen.