Sorry, you need to enable JavaScript to visit this website.
Skip to main content

Die Geschichte des Stadtarchivs

 

Von der Heimatbücherei zum Haus der Stadtgeschichte 

Im September 1861 berichtete die Rhein- und Ruhrzeitung von einem Streit zwischen der Stadt Mülheim und der evangelischen Altstadtgemeinde über die Nutzung des Kirchplatzes für Marktveranstaltungen. Gegenüber dem Landrat berief sich die Stadt auf ein seit 44 Jahren bestehendes Gewohnheitsrecht. Allerdings konnten die städtischen Vertreter die Austragung von Märkten für diesen Zeitraum nicht ausreichend belegen. Dies kommentierte die Rhein- und Ruhrzeitung wie folgt:

„Vielleicht ließen sich aus dem städtischen Archive die Beweise hierfür erbringen […] aber dieses liegt seit langer Zeit ungeordnet auf den Bodenräumen des Rathauses […] wünschenswerth aber wäre es immerhin, daß eine geeignete Persönlichkeit gewonnen würde, welche gegen eine angemessene Vergütung Ordnung in das Archiv brächte. Vielleicht würde dabei noch mancher interessante Fund gemacht.“

Es sollten jedoch noch 111 Jahre vergehen, bis ein fachlich ausgebildeter und hauptamtlicher Archivar sich um das Aktenchaos auf dem Dachboden des Rathauses kümmern und der Wunsch des Zeitungsredakteurs damit in Erfüllung gehen sollte.
 

Die Anfänge
Auf der Schwarz-Weiß-Fotografie sieht man einen Raum mit zwei Tischreihen und Stühlen. Jeder Arbeitsplatz ist mit einer Lampe ausgestattet. An einem sitzt eine Person. In der hinteren rechten Ecke steht ein Bücherregal.

Mit der Gründung der städtischen Bücherei in den 1880er Jahren erhielt die Mülheimer Bevölkerung öffentlichen Zugang nicht nur zu schöngeistiger Literatur, sondern auch zu einer Auswahl von Lokalzeitungen, Adressbüchern, Druckschriften und heimatkundlichen Büchern – alles Unterlagen, die heute als klassische Archivbestände im Stadtarchiv verwahrt werden. In der Person von Dr. Johannes Langfeldt erhielt die Bücherei 1926 erstmals einen wissenschaftlich ausgebildeten Leiter, der neue Akzente in der bibliothekarischen Arbeit setzte. So gründete er unter anderem eine Sonderabteilung für Heimatgeschichte – die sogenannte Heimatbücherei - und erwarb Urkundenbestände der Herrschaft Styrum. Bereits ein Jahr nach seinem Amtsantritt erschien 1927 ein erster Katalog mit den Beständen der im Aufbau befindlichen Heimatbücherei; eine zweite aktualisierte Übersicht sollte 30 Jahre später folgen. In Würdigung seiner Verdienste um das archivische und heimatkundliche Erbe Mülheims wurde Langfeldt 1938 vom Preußischen Staatsarchiv in Düsseldorf zum ehrenamtlichen Archivpfleger ernannt. Damit war seine Zuständigkeit für archivische Angelegenheiten von offizieller Seite bestätigt. 

Die Schwarz-Weiß-Fotografie zeigt das Gebäude der Stadtbücherei am Rathausmarkt mit dem Rathausturm im Hintergrund. Auf der Straße vor dem Gebäude fahren Autos und ein Motorrad.


Die Nachkriegszeit brachte erst einmal keine nennenswerten Änderungen mit sich. Die Heimatbücherei war nach wie vor eine Abteilung der Stadtbücherei und zog mit dieser im Jahr 1969 von den zu klein gewordenen Räumen im Stadtbad in einen neu errichteten Zweckbau in der Ruhrstraße. Drei Jahre später - am 1. Januar 1972 - kam es zu der lange überfälligen Einrichtung eines hauptamtlich besetzten Stadtarchivs.


Gründung und Aufbau des Stadtarchivs

Mit Dr. Kurt Ortmanns übernahm ein Mediävist und wissenschaftlicher Archivar die Aufgabe, das Archiv aus dem Schatten der Stadtbücherei herauszuführen und als eigenständige Kultureinrichtung zu etablieren. Dafür wurden ihm die ausgegliederte Heimatbücherei sowie das damit verbundene Bibliothekspersonal (zwei Mitarbeiterinnen) unterstellt. Zudem erhielt er für zukünftige Archivbestände ein Außenmagazin im Schloß Styrum zugewiesen. Hauptsitz des Stadtarchivs blieb vorerst das Gebäude der Stadtbücherei

1978 wurde dem Stadtarchiv nach langem Ringen die Zuständigkeit für die zentrale Altaktenverwaltung übertragen, die im Keller- sowie Dachgeschoss des Rathauses untergebracht und bis zu diesem Zeitpunkt dem Hauptamt unterstellt war. Damit war die Grundlage geschaffen für die Erschließung von städtischen Akten, die bis in die Anfänge des 19. Jahrhunderts zurückreichten und bis dahin nicht für eine öffentliche Nutzung zur Verfügung gestanden hatten.

Die Ausgliederung der historischen Altakten aus der Zentralregistratur hatte zur Folge, dass die provisorischen Magazinräume im Schloß Styrum für die Lagerung aller Unterlagen nicht mehr ausreichten. Da auch die Stadtbücherei dem stetig wachsenden Stadtarchiv keine zusätzlichen Räume anbieten konnte, begann die Suche nach einem geeigneten Archivgebäude, in dem sowohl das Archivpersonal als auch die Archivbestände untergebracht werden konnten. Mit dem damals leerstehenden Schulgebäude an der Cleveschen Straße, einem dreigeschossigen Bau aus dem Jahr 1899, fand man schließlich das passende Objekt. Zuvor waren zahlreiche Alternativen – darunter das ehemalige Bankhaus Hanau sowie die Alte Post - diskutiert, geprüft und wieder verworfen worden.


Der Standort Aktienstraße

Nach umfangreichen Umbaumaßnahmen, die vor allem der Verbesserung der Statik dienten, konnte das neue Domizil im Juni 1980 unter der neuen Adresse „Aktienstraße 85“ bezogen werden. Es sollte jedoch noch mehr als ein Jahr dauern, bis das Stadtarchiv im Juli 1981 seine Pforten öffnete und dem interessierten Bürger die Möglichkeit bot, im Benutzerraum des Archivs Einsicht zu nehmen in das historische Erbe der Stadt Mülheim.

Vor einem großen Backsteingebäude mit vielen Fenstern steht ein Auto.

Um sowohl die notwendige Erschließung von Archivgut als auch angemessene Öffnungszeiten für Besucher zu ermöglichen, nahm das Stadtarchiv 1982 das Angebot der Arbeitsgemeinschaft heimatkundlicher Vereine an, an einem Tag in der Woche die ehrenamtliche Aufsicht im Benutzerraum - der zentralen Anlaufstelle für Archivbesucher - zu übernehmen. Damit wurden die hauptamtlichen Archivmitarbeiter entlastet und konnten hinter den Kulissen – heute würde man vom „backoffice“ sprechen – Erschließungsarbeiten nachgehen. Aus dieser ehrenamtlichen Aufsichtstätigkeit entstand im Laufe der Zeit eine enge Zusammenarbeit zwischen Stadtarchiv und Geschichtsverein.

Die neue Unterbringung des Stadtarchivs ermöglichte es, den bis dahin als Depositum im Landesarchiv NRW verwahrten Bestand der Herrschaft Broich nach Mülheim zurückzuholen. 1983 wurde er in einem feierlichen Akt übergeben und bildet mit seinen Urkunden, Akten und Amtsbüchern nun den mittelalterlichen Kern des Fachbereichs 1 (Amtliches Schriftgut) im Stadtarchiv. Schriftgut aus der Stadtverwaltung füllte nach der Beseitigung des Raumproblems die Regale und Schränke des Stadtarchivs. In mehreren Schritten wurde ab 1989 die Altkartei des Einwohnermeldeamtes übernommen sowie ab 2009 – nach einer Änderung des Personenstandsgesetzes – die Altregister des Standesamtes (verbunden mit laufenden jährlichen Abgaben). Mit diesen beiden Übernahmen verbunden ist seitdem eine Flut von schriftlichen Anfragen und Recherchen.

Zuwächse für die Archivbestände gab es nach dem Umzug in die Aktienstraße auch von privater Seite durch Schenkungen, Nachlässe und Deposita. Unter diesen im Fachbereich 2 (Historische Sammlungen) verwahrten Unterlagen sind hervorzuheben:

Mülheimer Zeitungsarchiv (Bestand 1430)
Sportarchiv Karl Könen (Bestände 1337 und 3007)
Sammlung Hohensee: Bergbau / Karneval (Bestand 1618)
Sammlung Bennertz zur jüdischen Geschichte  (Bestand 1622)
(Teil-)Nachlass August Bungert (Bestand 1604)
Nachlass Edwin Hasenjaeger (Bestand 1615)
Archiv der Mülheimer Sparkasse (Bestand 1733)
Archiv der Mülheimer Kreishandwerkerschaft (Bestand 1540)
Sammlung Schauenburg: Kriegsflugblätter (Bestand 1423)
Sammlung Gerhard Tersteegen (Bestand 881)

Auch die großzügig geplanten Magazine im neuen Domizil waren nicht in der Lage, alle Zuwächse, insbesondere die Aktenmassen aus der Altregistratur der Stadtverwaltung, aufzunehmen. Bereits 1980 waren die Altregistratur im Kellergeschoss des Rathauses sowie das Archivmagazin im Schloß Styrum geräumt und das dortige Schriftgut in zwei leerstehende Klassenräume der Schule an der Saarner Straße verlagert worden. 1990 kamen weitere Außenmagazine in den Schulen an der Kurfürstenstraße und an der Bülowstraße hinzu; seit 1996 wurden zusätzlich auch in der ehemaligen Augenklinik am Hingberg Altakten eingelagert. Dieser Standort sollte sich im Laufe der Jahre zum größten Außendepot des Stadtarchivs entwickeln, bevor er 2005 – wegen Umbaus des gesamten Gebäudes – geräumt werden musste.

Nicht nur der Komplex der Außenmagazine, sondern auch die Zentrale an der Aktienstraße unterlag ständigem Wandel. 1985 gelang es mit Unterstützung des Kulturausschusses und des Mülheimer Geschichtsvereins, die noch fehlende, jedoch dringend benötigte Restaurierungswerkstatt einzurichten. Zuvor waren die politischen Gremien von der Anstellung eines Restaurators überzeugt worden. 1990 folgte eine Fotowerkstatt, die zunächst vom Restaurator mitbetreut, später auf Basis eines Werkvertrags von einer freien Fotografin geleitet wurde. Während die Fotowerkstatt aufgrund des technischen Wandels irgendwann nicht mehr zeitgemäß war und daher rund 20 Jahre später geschlossen wurde, besteht die Restaurierungswerkstatt nach wie vor. Sie ist heute mehr denn je ein wichtiger Eckpfeiler in der Arbeit des Stadtarchivs, da hier nicht nur die Behandlung von beschädigtem Archivgut verankert ist, sondern ebenso die technische Unterstützung für sämtliche Ausstellungen des Stadtarchivs.

1997 konnte das Stadtarchiv auf sein 25-jähriges Bestehen zurückblicken. Zu diesem Zeitpunkt war es mit seinen Archiv- und Zwischenarchivbeständen auf insgesamt fünf Standorte verteilt; der Personalbestand war auf acht Vollzeitkräfte angewachsen.


Die Standorte Lahnstraße und Von-Graefe-Straße

Im Jubiläumsjahr war bereits abzusehen, dass die Regalkapazitäten in der Zentrale an der Aktienstraße voraussichtlich in wenigen Jahren erschöpft sein würden. Zu diesem Zeitpunkt schien noch keine adäquate Lösung in Sicht, eine Überführung der archivreifen Bestände aus den Außenmagazinen in die Zentrale aus Platzgründen unmöglich. Erst im Frühling 2004 zeichnete sich eine Lösung des Raumproblems ab. Gegen zahlreiche Widerstände schlug der damalige Kulturdezernent Hans-Theo Horn dem Werksausschuss des Kulturbetriebs (Kulturausschuss) vor, die weitgehend leerstehende und sanierungsbedürftige Alte Augenklinik zu einem „Haus der Stadtgeschichte“ umzubauen mit ausreichend Platz für Ausstellungen und Veranstaltungen. Neben dem Stadtarchiv sollte die ebenfalls unter Raumnot leidende Musikschule dort untergebracht werden. Ein anderer Vorschlag aus der Politik sah vor, das marode Gebäude komplett abzureißen und auf dem freiwerdenden Gelände eine hochwertige Wohnbebauung zu schaffen. Doch der Kulturdezernent leistete Überzeugungsarbeit und erreichte, dass eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben wurde. Der Ausgang der Studie war positiv. Daraufhin legte der Kulturbetrieb dem städtischen Kulturausschuss ein Konzept für das Projekt HSM (Haus der Stadtgeschichte / Musikschule) vor, das dieser in seiner Sitzung vom 27. Januar 2006 genehmigte. Dies war das Startsignal für den Beginn des Umbaus.

Das Gebäude der Augenklinik war dem Team des Stadtarchivs nicht ganz unbekannt, nutzte man es doch bereits seit 1996 als Außenmagazin, seit 1998 - nach der Aufgabe von zwei anderen Standorten - sogar als Hauptaußenmagazin. Zudem war im Sommer 1999 im Rahmen einer umfangreichen Sanierungsmaßnahme in der Aktienstraße das gesamte Archivpersonal für mehrere Monate in die Augenklinik „evakuiert“ worden und hatte sich dort vorübergehend eingerichtet. Man hatte also schon einmal „Klinikluft“ geschnuppert.

Zu sehen ist ein großes Gebäude an einem Hang gebaut. Im Vordergrund ist eine Straße und eine Rasenfläche.

Das Konzept für ein Haus der Stadtgeschichte wurde immer konkreter, zumal auch die Eigentümerin der Alten Augenklinik, die Leonhard-Stinnes-Stiftung, das Gebäude vor dem Abriss bewahren wollte und zu der angedachten Umnutzung Zustimmung signalisierte. Seitdem der Klinikbetrieb 1985 in einen modernen Neubau neben dem Evangelischen Krankenhaus verlagert worden war, wurden Teile des leerstehenden alten Gebäudes von verschiedenen städtischen Dienststellen als Bürogebäude genutzt. Daneben war seit den 1990er Jahren das Stadtarchiv dort präsent und beanspruchte immer mehr Fläche für seine wachsenden Bestände. Um den Umbau des Gebäudes zu ermöglichen, waren nun sämtliche Mieter gehalten, das Gebäude zu räumen. Die städtischen Ämter konnten eher problemlos in Büroräumen an anderen Standorten untergebracht werden, die Altakten des Stadtarchivs jedoch stellten vom Umfang her – sie belegten etwa die Hälfte des gesamten Gebäudes - eine gewaltige Herausforderung dar. Die Lösung erschien in Form einer zweistöckigen Fabriklagerhalle in Hafengebiet, die der Eigentümer dem Kulturbetrieb zur Miete anbot. Mit einer ausreichend großen Kapazität war der Standort in der Lahnstraße geeignet, sämtliche Außenmagazine zu ersetzen und das gesamte Schriftgut des Stadtarchivs – abgesehen von den historischen Beständen im Hauptgebäude – an einer Stelle zu konzentrieren. Anfang 2005 wurden in einer siebenwöchigen Umzugsaktion die bis dahin verbliebenen drei Magazine in der Saarner Straße, im Rathaus und in der Alten Augenklinik geräumt und insgesamt rund 5.000 Regalmeter Akten an den neuen Standort in der Lahnstraße verlagert.

Zu sehen ist das sanierte historische Gebäude der alten Augenklinik mit einem modernen Anbau. Im Vordergrund des Bildes sind eine grüne Wiese und Bäume am Straßenrand.

Dem Umbau der Alten Augenklinik zum Haus der Stadtgeschichte stand nun nichts mehr im Wege. Bis zum Abschluss der Bauarbeiten und der Übergabe des kernsanierten Gebäudes an die beiden Mieter - Stadtarchiv und Musikschule - sollten jedoch noch etliche Jahre vergehen.

Vorerst blieb das markante rote Backsteingebäude an der Aktienstraße die Zentrale des Stadtarchivs. Zahlreiche neue Projekte wurden hier noch konzipiert und umgesetzt. Workshops zur Einführung in die Familienforschung stießen auf große Resonanz in der Bevölkerung. Im Herbst 2006 startete die monatliche Geschichtsreihe „Mülheimer Zeitzeichen“, zunächst als Online-Version, später auch zusätzlich als Printversion in Kooperation mit der Zeitung „Mülheimer Woche“. Sowohl das 200-jährige Stadtjubiläum (2008) als auch das „Kulturhauptstadtjahr 2010“ wurden von hier aus begleitet.

Im Hinblick auf das zukünftige Kompetenzzentrum für Stadtgeschichte erfuhr das Stadtarchiv einen stetigen Zuwachs an neuen Aufgaben und Zuständigkeiten. So wurde 2004 die Geschäftsstelle des Mülheimer Geschichtsvereins beim Archivsekretariat angesiedelt, 2007 folgte die Geschäftsstelle des Arbeitskreises „Stolpersteine“ (zuvor betreut vom Referat I). Zur umfangreichsten Aufgabenverschiebung kam es 2009, als das Dezentrale Historische Museum mit seinen Standorten Schloß Broich, Tersteegenhaus und Büromuseum vom Städtischen Kunstmuseum zum Stadtarchiv wechselte.


Umzug in das Haus der Stadtgeschichte

Was lange währt, wird endlich gut. Nach diesem Motto erfolgte 2013 der langersehnte Umzug. Zunächst verließ im März die Musikschule ihren alten Standort auf dem Dudel und bezog ihre neuen Räumlichkeiten an der Von-Graefe-Straße. Für das Stadtarchiv standen zunächst noch Klimamessungen in den zukünftigen Magazinräumen an. Bis die Sollwerte für Temperatur und Luftfeuchtigkeit erreicht waren, vergingen mehrere Monate. Im August gab es für den Archivumzug grünes Licht. In mehreren Etappen wurde die Dienststelle von der Aktienstraße in die Alte Augenklinik verlagert: im ersten Schritt die Büros, im zweiten das gesamte Archivgut. Hinzu kamen archivreife Unterlagen sowie zahlreiche aus Platzgründen ausgelagerte Plan- und Karteischränke aus dem Außenmagazin an der Lahnstraße. Anfang September waren Mitarbeiter und Archivbestände komplett am neuen Standort. Nachdem das Archiv umzugsbedingt rund sechs Wochen geschlossen geblieben war – beim Umzug 1980 hatte sich die Schließung noch über ein ganzes Jahr erstreckt –, konnte das neue Haus am 14. September 2013 durch Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld feierlich eröffnet werden.

Zu sehen ist der Lesesaal des Stadtarchivs im Haus der Stadtgeschichte. Dort stehen rechts und links Tische hintereinander in 6 Reihen mit jeweils zwei Stühlen. An den Wänden stehen Bücherregale, im Vordergrund der Arbeitsplatz der Lesesaalaufsicht.

Das Haus der Stadtgeschichte bedeutete einen Quantensprung für die Arbeit des Stadtarchivs. Erstmals gab es ein großes Foyer für historische Ausstellungen, einen Saal mit knapp 100 Sitzplätzen für Vorträge sowie einen Gruppenarbeitsraum für die Projektarbeit mit Schülergruppen und Schulklassen. Die Standregale in den Magazinen waren ersetzt worden durch platzsparende Rollregalanlagen. Und auch der Lesesaal war insgesamt größer angelegt und mit internetfähigen Benutzer-PCs technisch auf dem neuesten Stand.

Aufgrund der langen Planungs- und Bauphase war es einigen Akteuren nicht mehr vergönnt, die Eröffnung des Hauses in ihrer Dienstzeit zu erleben. So war im Frühling 2006 Kulturdezernent Hans-Theo Horn, der sich lange für das Projekt starkgemacht hatte, in den Ruhestand verabschiedet worden, ebenso Archivleiter Dr. Kurt Ortmanns, der wenig später – im Herbst 2006 - das Pensionsalter erreicht hatte.

Die Nachfolge in der Archivleitung trat im Januar 2008 - nach einer Interimszeit unter der stellvertretenden Leiterin Eva Kniese - der bisherige Projektmitarbeiter Dr. Kai Rawe an. Er setzte neue Akzente in der historischen Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit. Die Vortragsreihe zur Mülheimer Geschichte, seit 2006 in der Zuständigkeit des Stadtarchivs, wurde auf eine neue Grundlage gestellt, die Zusammenarbeit mit den Mülheimer Schulen ausgebaut.
 

Ausstellungen

Mit dem Umzug in das Haus der Stadtgeschichte 2013 hatte man ein langersehntes Ziel erreicht: Ausstellungen im eigenen Gebäude. Seit der ersten Präsentation „Von der Honnschaft zur Großstadt“ im Jahr 1972 war man auf externe Kooperationspartner angewiesen gewiesen. Vom Stadtarchiv konzipierte und begleitete Ausstellungen wurden gezeigt im Städtischen Museum an der Leineweberstraße, Schloß Broich, Haus Ruhrnatur, Medienhaus oder im Foyer des Rathauses, der Stadthalle und der Stadtsparkasse. Mit den neuen Räumlichkeiten in der Von-Graefe-Straße konnte man nun vor Ort planen und neben eigenen Präsentationen auch Wanderausstellungen ins Haus holen. Im August 2014 wurde mit „Mülheim im Ersten Weltkrieg“ die erste eigene Ausstellung am neuen Standort der Öffentlichkeit präsentiert. Im Jubiläumsjahr 2022 kann das Team des Stadtarchivs auf eine erfolgreiche Ausstellungshistorie zurückblicken. Die Präsentation über das Goldene Buch der Stadt Mülheim ist die mittlerweile zwanzigste Ausstellung im Haus der Stadtgeschichte, die nachfolgende Jubiläumsausstellung „Stadt – Archiv – Geschichte. 50 Jahre Stadtarchiv“ die insgesamt vierzigste des Stadtarchivs seit seiner Gründung im Jahr 1972.


Vorträge

Die Vortragsreihe des Stadtarchivs, die sogenannte „Reihe zur Mülheimer Geschichte“, fand in dem neuen Domizil am Hingberg ideale Bedingungen vor. Von der Mülheimer Historikerin Barbara Kaufhold 2001 ursprünglich unter dem Titel „Kleine Reihe zur Zeitgeschichte“ als Begleitprogramm zu diversen historischen Buchprojekten begründet, war diese 2005 erst teilweise und 2006 dann vollständig in die Zuständigkeit des Stadtarchivs überführt worden. Aus vier Veranstaltungen pro Jahr wurden acht, der Kreis der Vortragenden wurde ausgeweitet und Vorträge mit wissenschaftlichem Hintergrund waren bald eher die Regel als die Ausnahme. Zunächst wurde die Reihe in Ermangelung von eigenen Räumen in der Kassenhalle des Kunstmuseums Alte Post durchgeführt. Dieses Provisorium fand mit dem Umzug des Stadtarchivs 2013 ein Ende. Im Jubiläumsjahr 2022 kann das Stadtarchiv auf über 160 Vorträge zurückblicken, davon mehr als die Hälfte im Haus der Stadtgeschichte.


Archiv und Schule

Im Mülheimer Kulturdialog von Dezember 2002, einem Strategiepapier der Verwaltung zur Kulturentwicklung in Mülheim an der Ruhr, wurde erstmals die Bedeutung des Lernortes „Archiv“ für die weiterführenden Schulen betont. Neben zusätzlichen Öffnungszeiten des Stadtarchivs für Schulklassen empfahl das Papier die Einrichtung einer „Geschichtswerkstatt“ für Jugendliche im Schloß Broich mit qualifizierter Betreuung. Hintergrund waren die unzureichenden räumlichen Möglichkeiten an der Aktienstraße, die eine archivpädagogische Arbeit parallel zum normalen Besucherbetrieb kaum zuließen. Mit der Entwicklung des Projekts „Archiv und Schule“ wurde die erste Handlungsempfehlung des Kulturdialogs durch das Stadtarchiv-Team zeitnah umgesetzt. Künftig waren die benutzerfreien Tage Mittwoch und Freitag für die Arbeit mit Schulklassen und Schülergruppen reserviert. Im Focus der Archivpädagogik stand die Sekundarstufe II  (Klassen 11 bis 13, heute; EF, Q1 und Q2). In den folgenden Jahren wurde das Angebot Schritt für Schritt erweitert. Zunächst öffnete sich das Stadtarchiv auch für Anfragen aus der Sekundarstufe I (Klassen 5-10). Letzter Baustein im archivpädagogischen Konzept war der sogenannte „Schnupperbesuch“ für Grundschulen, eine Art Heimatkunde im Rahmen des Sachkundeunterrichts. Während die meisten Mülheimer Schulen die Angebote des Stadtarchivs unregelmäßig und bei Bedarf (z.B. schulinterne Projekttage) in Anspruch nehmen, ist die Gemeinschaftsgrundschule an der Heinrichstraße seit 2015 fester Kooperationspartner und regelmäßig mit sämtlichen dritten und vierten Klassen zu Gast im Archiv. Seit dem Beginn des Projekts „Archiv und Schule“ im Jahr 2004 wurden mehr als 140 Gruppen von 19 Mülheimer Schulen im Stadtarchiv betreut.


Archivarbeit unter COVID-19

Mit dem Wechsel von Dr. Kai Rawe zum Bochumer Zentrum für Stadtgeschichte Ende 2019 kam es ein weiteres Mal zu einem Wechsel in der Archivleitung. Mit Dr. Stefan Pätzold, einem wissenschaftlichen Archivar und Mediävisten, erhielt das Mülheimer Stadtarchiv im Mai 2020 seinen dritten Leiter seit der Gründung im Jahr 1972.

Ausgebremst durch die Corona-Pandemie konnte das Team des Stadtarchivs 2020/21 seine Pläne nicht so umsetzen, wie man es sich gewünscht hätte. Vorträge mussten abgesagt, Ausstellungen verschoben und der Lesesaal des Hauses zeitweise geschlossen werden. Man nutzte die Zeit und hob stattdessen zwei neue Publikationsreihen aus der Taufe. Bei der Reihe zur Mülheimer Geschichte ging man neue Wege und bot diese nicht als Präsenzveranstaltung, sondern als Video-Stream über den städtischen Youtube-Kanal an. Im Laufe des Jubiläumsjahrs 2022 wurden die Einschränkungen durch COVID19 dann weniger und so konnte das Stadtarchiv am 1. September seinen 50. Geburtstag mit zwei Vorträgen, einer Ausstellung und einer Festschrift gebührend feiern.
 



Bearbeitete und aktualisierte Fassung des Beitrags "Von der Heimatbücherei zum Haus der Stadtgeschichte" von Jens Roepstorff, in: Mülheimer Jahrbuch 2014, Seiten 80-86