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Die Ruhrbesetzung 1923

100 Jahre Ruhrbesetzung: Einmarsch französischer Truppen in Mülheim

 


Politische Voraussetzungen der alliierten Okkupation 

Der Erste Weltkrieg dauerte vom 28. Juli 1914 bis zum 11. November 1918. Er endete für das Deutsche Kaiserreich mit einer Niederlage. Das hatte weitreichende Konsequenzen. Nach Novemberrevolution, Waffenstillstand und Kapitulation verschärfte sich die Lage im Rheinland. Wegen der von den Siegermächten (Frankreich, Großbritannien, Italien und USA) geforderten Reparationen, besonders von Frankreich zum Wiederaufbau des Landes, sollten vor allem im Ruhrgebiet die Industrieanlagen demontiert und die dort geförderte Kohle nach Frankreich und Belgien abtransportiert werden. 1921 wurde die Annahme der Reparationsforderungen mit der als Sanktion betitelten Besetzung von Düsseldorf, Duisburg und Ruhrort sowie mit der Drohung der Besetzung des ganzen Ruhrgebietes erzwungen. 

Am 11. November 1918 traf sich die Delegation des Deutschen Reiches mit denen von Frankreich und Großbritannien. Im Abkommen zum Waffenstillstand von Compiègne war die Stationierung amerikanischer, französischer, belgischer und britischer Truppen auf der linken Rheinseite und auf den Brückenköpfen rechts des Rheins (Düsseldorf, Duisburg und Ruhrort) vorgesehen. Die Einhaltung der entmilitarisierten Zone, die von deutschem Militär geräumt sein musste, wurde kontrolliert. Im März 1920 rückten Reichswehrsoldaten mit Freikorps-Kämpfern aus Anlass des Ruhraufstandes dorthin ein. Somit wurde die vertraglich festgelegte Entmilitarisierung des Rheinlandes verletzt. Zur Sanktionierung dieser Maßnahme durch die deutschen militärischen Kräfte gegen kommunistische Aufständische besetzten Frankreich und Belgien im März 1921 nur in begrenzter Weise sowie ab Januar 1923 mit einem großen, schwerbewaffneten Aufgebot das Ruhrgebiet, das in der entmilitarisierten Zone lag. 

Die provisorische Reichsregierung, der so genannte Rat der Volksbeauftragten (1918-1919), musste im Waffenstillstand einwilligen, eigene Truppen hinter den Rhein zurückzuziehen. Belgien, Großbritannien, USA und Frankreich besetzten ab November 1918 das Rheinland. Eine neutrale Zone grenzte das besetzte vom unbesetzten Gebiet ab: Belgien kontrollierte den Bereich von Kleve über Neuss bis Aachen; Großbritannien den von Burscheid über Köln bis nach Sankt Vith in Belgien. Die amerikanische Zone erstreckte sich von Koblenz bis Trier; die französische Zone von Wiesbaden bis Zweibrücken. – Demnach lag Mülheim an der Ruhr außerhalb der besetzten Gebiete und knapp innerhalb der neutralen Zone, die sich in einem 10-50 Kilometer breiten Streifen östlich des Rheins von Emmerich bis Karlsruhe zog. 

Beginn der Ruhrbesetzung in Mülheim an der Ruhr 

Am 10. Januar 1923 begann die Besetzung von Mülheim durch die Franzosen und Belgier. Berichte der Mülheimer Polizisten geben Informationen über den Ablauf der Ruhrbesetzung und die Verbindungen zum zuvor stattgefundenen Ruhraufstand. Im Fokus steht die Ausweisung der Schutzpolizei von Mülheim (6. März 1923). Weitere Ereignisse sind der Angriff der Mitglieder des Gewerkschafts-Sozialismus – Syndikalisten genannt – auf das Mülheimer Rathaus (18. April 1923) und der bewaffnete Kampf von Mülheimer Polizisten in Duisburg gegen die Separatisten für eine Rheinische Republik (20. November 1923) – die mit belgisch-französischer Unterstützung im Entstehen war. Am Ende wird der Abzug der Besatzer aus Mülheim (29. Juli 1925) thematisiert. 

Als Ursachen der Ruhrbesetzung durch die Franzosen und Belgier liegen der Versailler Vertrag im Allgemeinen und die Reparationen an die vier alliierten Siegermächte im Besonderen auf der Hand. Tiefergehende Gründe lassen sich aus dem Willen zur Sicherung von Reparationsleistungen mithilfe der Besetzung des Ruhrgebietes ableiten. Auslöser war der durch die Reparationskommission festgestellte geringfügige Rückstand bei der Lieferung von Holz sowie Kohle aus dem Ruhrgebiet nach Belgien und Frankreich. Anlass gab die enorme Höhe der französischen Staatsverschuldung und die Schwäche der Schwerindustrie infolge von zerstörten Anlagen; im Gegensatz zur deutschen, die nicht durch die Artillerie beschädigt worden sind, jedoch fehlten dort die Arbeitskräfte. Unter den Alliierten fiel die Reaktion auf diese Aktion der Franzosen und Belgier unterschiedlich aus, denn die Amerikaner verließen unter Protest am 18. Februar 1923 vollständig das Rheinland. Ab dann schloss die sowieso erheblich größere französische Zone die amerikanische um Koblenz und Trier mit ein. Die Briten gaben sich wohlwollend neutral. Reichskanzler Wilhelm Cuno proklamierte am 13. Januar 1923 den passiven Widerstand (in der öffentlichen Verwaltung, im Transportwesen und in der Produktion), der wesentlich von der Schwerindustrie, wie von dem 

Mülheimer Hugo Stinnes, mitinitiiert wurde. Rechtsnationale Freikorps begannen einen aktiven Widerstand mit Sabotageakten (Brückensprengungen, Entführungen von Güterzügen, usw.) sowie mit Anschlägen gegen Wachtposten und Militärpersonen, was deren Kampf zwar einige Märtyrer bescherte, aber die Republik in Verruf brachte. – Am 26. September 1923 verkündete die Regierung von Reichskanzler Gustav Ernst Stresemann offiziell den Abbruch des passiven Widerstandes, allerdings ohne dafür eine Art Gegenleistung seitens der französischen Besatzer zu erhalten. In Mülheim beschränkte man sich ausschließlich auf den passiven Widerstand, worunter die Befehlsverweigerung der (Finanz- und Zoll-) Behörden, die Weigerung der (Polizei- und Eisenbahn-) Beamten zur Sicherung und Durchführung der Kohlentransporte, die Ablehnung der Ausfuhr von Reparationsleistungen durch die Unternehmer, die Arbeitseinstellung auf den Zechen durch die Arbeiter sowie das Beschädigen von Gleisanlagen durch Eisenbahner fiel. Als Konsequenz dessen wurden in Mülheim als erstes der Leiter des Finanzamtes und dann der des Zolls am 30. Januar 1923 verhaftet sowie in das unbesetzte Reichsgebiet ausgewiesen. Gegen sämtliche höhere Polizeioffiziere lag ein französischer Befehl zur Arrestierung vor; aufgrund dessen wurden am 10. März 1923 die Einheiten der Schutzpolizei des Bezirkes Mülheim-Oberhausen verhaftet und in die unbesetzten Gebiete abgeschoben. 

Verlauf der Besatzungszeit in Mülheim an der Ruhr 

Der Ablauf der Ruhrbesetzung in Mülheim sah für die beiden beteiligten Siegermächte, Belgien und Frankreich, unterschiedliche Rollen vor: 1.) In der Nacht vom 17. zum 18. März 1921 drang eine Einheit von 30 Mann französischer Soldaten in den Bahnhof Speldorf ein, um weitere, viel umfangreichere Truppentransporte durch diesen Bahnhof zu ermöglichen. Dementsprechend nannte sich diese Vorhut fortan die Bahnhofskommandantur in Speldorf. Am 18. März 1921 quartierten sich circa 30 Reiter eines belgischen Jägerregiments im Mülheim-Duisburger Rennverein ein. Ihr Aufenthalt dort dauerte nur bis zum 26. April 1921, weil sie dann nach Duisburg abrückten ohne in Erscheinung getreten zu sein. 2.) Am Morgen des 10. Januar 1923 passierten mehrere zehntausend französische Soldaten die Stadtgrenze zu Mülheim. Unverzüglich wurde der Belagerungszustand verhängt, die Kohlensteuer und die Zolleinnahmen beschlagnahmt. Im Stadtgebiet machten sie sich durch Gewaltmaßnahmen bemerkbar. Solche Kriegsdrangsale sind beispielweise die Einquartierung, Beschlagnahmung oder Plünderung. Bis Anfang April 1923 dauerte die Besetzung Mülheims, wobei diverse, mehrheitlich französische Truppenteile und -gattungen (wie Artillerie, Infanterie und Panzergrenadiere) in ungleicher Stärke an abwechselnden Orten waren. 

In den Berichten der Mülheimer Polizei – zum Angriff auf das Mülheimer Rathaus, der vom 18. bis 20. April 1923 stattfand – werden Vorwürfe laut: Die französische Besatzung hat kommunistische Umstürze in den Städten des Ruhrgebietes beabsichtigt, um den passiven Widerstand gegen die Ruhrbesetzung zu brechen. So wurde gesehen, dass französische Polizisten den Angriff auf das Mülheimer Rathaus nur beobachteten und nicht eingriffen, obwohl Recht und Ordnung gefährdet waren. Ferner wurde festgestellt, dass die Angreifer mit Karabinern bewaffnet waren, die der ausgewiesenen Schutzpolizei gehörten und von den Besatzungstruppen verwahrt wurden. Andererseits ist behauptet worden, dass der Kampf gegen den Kommunismus das Alleinige war, worin deutsche und französische Amtsleute sich, selbst auf dem Zenit des passiven Widerstandes, einig waren. Das Verhältnis der französischen Besatzer zu den Angreifern auf das Mülheimer Rathaus wurde auch differenzierter gesehen, indem zwar diese unter französischem Schutz standen, aber von den Franzosen keine Waffen erhalten hatten. 

Landesverweis der deutschen Polizei aus dem besetzten Ruhrgebiet 

Die Ausweisung der Schutzpolizei von Mülheim an der Ruhr erfolgte am frühen Morgen des 6. März 1923, was ihre Auflösung bedeutete. Zum Hintergrund: Die Polizei war in Auseinandersetzungen mit französischen Soldaten verwickelt, die gegenüber den Bürgern übergriffig waren oder sogar plünderten. Erst trugen Polizisten ihre Dienstwaffen wie üblich, doch mussten sie diese zügig abgeben. Die Mülheimer Polizeiführung rechnete mit weiteren Einschränkungen in der Ausübung des Dienstes, sodass Maßnahmen ergriffen wurden, wie das Fortbringen der Ausrüstungsgegenstände, Waffen mit Munition sowie der Personalakten. Ausgesuchte Beamte wurden mit deren Einverständnis rückwirkend aus dem Polizeidienst entlassen, um offiziell als Zivilangestellte wieder eingestellt zu werden. Im Falle denkbarer Repressalien gegen die Polizei dürften sie von diesen nicht mehr betroffen sein und würden als Informanten zur Verfügung stehen. Es kam, wie es kommen musste. Für die Ausweisung der Polizei von Mülheim hatten die französischen Besatzer den Ablauf systematisch geplant: mit Infanterie und Panzern wurde die Polizeikaserne umstellt, die Polizisten wurden pro Baracke der Reihe nach verhaftet sowie abgeführt, um dann genauer untersucht zu werden. Die Mitnahme dienstlicher oder privater Gegenstände war untersagt. Am Abend wurden die Polizisten der Mannschafts- und Unteroffiziersdienstgrade an unbekannte Orte außerhalb des Ruhrgebietes gebracht. Die Offiziere blieben zunächst in der Kaserne in Mülheim, um über mehrere Tage hinweg verhört zu werden. Zwar erfüllten auf den Straßen von Mülheim nun französische Soldaten und Polizisten den Ordnungsdienst, aber die Kriminalität stieg stark an. Nach Protest der Einwohner in Mülheim und Anweisung aus Paris wurde hier die Aufstellung einer Ersatzpolizei befohlen. Damit diese erkennbar war, wurden die Uniformen der ehemaligen königlich-preußischen Polizei getragen. Im Dienst war die Ersatzpolizei wehrhaft, weil die Neueingestellten die Waffen aus einem Depot in Elberfeld erhielten. Sämtliche Städte des Ruhrgebietes rekrutierten Männer als Ersatzpolizisten, deren Gesinnung von den Besatzern geprüft worden war. 

Ende der Ruhrbesetzung in Mülheim an der Ruhr 

USA und Großbritannien übten Druck auf Frankreich aus, 1923/1924 das Abkommen MICUM (Mission interalliée de Contrôle des Usines et des Mines) mit der Ruhrindustrie abzuschließen. Jedoch endete die Ruhrbesetzung erst im Juli/August 1925, so wie dies im Dawes-Plan stand. Mit dem Abzug der Besatzer aus Mülheim an der Ruhr am 29. Juli 1925 konnte der dortige Wiedereinzug der Schutzpolizei am 4. August 1925 erfolgen. Unter großer Anteilnahme der Mülheimer Bevölkerung wurde der Schutzpolizei aus ihrem jeweiligen Exil ein herzlicher Empfang direkt am Hauptbahnhof bereitet. Auf dem Marsch durch die Straßen der Innenstadt zur Kaserne wurde sie bejubelt. Nachdem die Quartiere bezogen waren, erfolgte die Verteilung der Hundertschaften auf die Reviere. Es konnte nicht nur die Neueinstellung bei der Polizei erreicht werden, sondern auch die Übernahme der Ersatzpolizisten. Die ersten Einsätze dieser erstarkten Truppe waren die Sicherung der beschränkten Wiederaufstellung des Infanterieregiments 159 in Mülheim, die Teilnahme an der Befreiungsfeier in Krefeld mit Reichspräsident Paul von Hindenburg, die Amtshilfe beim Hochwasser der Ruhr (1926) sowie die Begleitung von Demonstrationen der Parteien in Mülheim anlässlich der sich wiederholenden Wahlen auf nationaler Ebene. Letzteres steigerte sich immer mehr bis 1933. 

Kulturpolitische Auswirkungen der alliierten Okkupation 

Die Ruhrbesetzung war nicht nur eine militärische Aktion zur Sicherung wirtschaftlicher Interessen der Alliierten, sondern auch eine regelrechte Propagandaschlacht. Grob lassen sich französische von deutschen Druckschriften unterscheiden sowie separatistische von antiseparatistischen Flugblättern. Dieses zahlenmäßig beträchtliche Bildmaterial unterstreicht, dass die Propaganda ein omnipräsentes Begleitphänomen der Ruhrbesetzung war. Staatliche Aktivitäten zur Agitation wurden überlegt betrieben. Diese einschlägigen – hauptsächlich antifranzösischen – Kampagnen sollten rassistische Vorurteile in der Bevölkerung festigen sowie die erschütterte deutsche Identität wiederherstellen. Bekannte Beispiele dafür sind die Hetze gegen farbige Kolonialsoldaten („Schwarze Schmach“) und die Abwehr vom Ideal der französischen Kultur (als „Grande Nation“). Die Kinder, die aus den Beziehungen oder den Heiraten von französischen Kolonialsoldaten und deutschen Frauen hervorgingen, wurden vom NS-Regime (als „Rheinlandbastarde“) diffamiert sowie zwangsweise sterilisiert. 


Eine Online-Präsentation des Stadtarchivs Mülheim an der Ruhr


Autor: Dr. Gregor Maximilian Weiermüller (Universität Duisburg-Essen, Fakultät für Geisteswissenschaften, Historisches Institut, Abteilung für Landesgeschichte der Rhein-Maas-Region)