Einweihung des Mülheimer Stadions
Seit über 100 Jahren finden in Mülheim alljährlich die Mülheimer Jugendfestspiele statt. Heute bekannt als „Voll die Ruhr“ mit Spiel und Spaß im Vordergrund, wurden sie anfangs unter der Bezeichnung "Vaterländisches Turn- und Spielfest" als rein sportliche Veranstaltung auf dem Sportplatz am Kahlenberg ausgetragen. Der Volksmund sprach daher auch vom „Kahlenbergfest“. Durch die Aufnahme neuer Sportarten reichte das ursprünglich vorgesehene Wochenende nicht mehr aus, um alle Veranstaltungen ohne Zeitdruck durchzuführen. Die Organisatoren beschlossen, die Spiele auf eine ganze Woche auszudehnen und nannten sie ab 1920 "Mülheimer Turn- und Sportwoche". Das Fehlen von ausreichend großen Zuschauertribünen am Kahlenberg war ein weiteres Problem, das es zu lösen galt. Hinzu kam, dass das Bedürfnis in der Bevölkerung nach Sport und Spiel nach dem Ende des Ersten Weltkriegs stark gestiegen war, es an Sportanlagen jedoch mangelte.
Die Mülheimer Stadtväter trugen dem Rechnung und beschlossen, ein großzügiges Areal in Styrum im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme zu bebauen, um es dem Freizeitsport zu widmen. Geplant wurden ein Schwimmbad, ein „Licht-, Luft- und Sonnenbad“, drei Tennisplätze sowie eine große Sport- und Spielwiese, die sich im Laufe der Planungsphase zu einem Stadion fortentwickelte.
Nachdem das Schwimmbad - mit 160 x 80 m Wasserfläche das damals größte Freibad in ganz Deutschland - bereits im September 1924 der Öffentlichkeit übergeben worden war, wurde das Stadion erst 1925 fertiggestellt und im Rahmen der Turn- und Sportwoche offiziell eingeweiht. Nachdem vom 5. bis zum 11. Juli der Großteil der Wettkämpfe traditionsgemäß auf dem Sportplatz am Kahlenberg ausgetragen worden war, wurde am letzten Wettkampftag – dem 12. Juli - in einem feierlichen Festakt das Ruhrstadion seiner Bestimmung übergeben.
Im neuen Stadion gab es an der Westseite eine große Zuschauertribüne; diese bot in acht Reihen Sitzplätze für 2.000 Zuschauer. Für weitere 18.000 Zuschauer waren umlaufend erhöhte Stehplätze verfügbar, so dass die Platzprobleme vom Kahlenberg nun der Vergangenheit angehörten. Neben den Vorführungen und Wettkämpfen im Stadion fand auf den ebenfalls neu entstandenen Tennisplätzen ein sogenanntes „Werbespiel“ – heute würde man von einem Schaukampf sprechen – statt. Attraktion dieser Veranstaltung war der junge Kurt Gies, das spätere Mülheimer Tennis-Idol. Auch die Schwimmwettkämpfe, zuvor in der Flußbadeanstalt der Saarner Aue ausgetragen, feierten ihre Premiere im neuen, großzügigen Freibad des Stadions.
An die 15.000 Zuschauer verfolgten den Einzug der Mülheimer Sportvereine; voran eine Radfahrer-Eskorte des Vereins „Sturmvogel“, dahinter rund 2.000 Schülerinnen und Schüler, die im Rahmen des Gesamtprogramms zu sogenannten Massenfreiübungen antraten. Die musikalische Begleitung lieferte der Chor der Knabenmittelschule mit dem Lied „Freiheit, die ich meine“. Kritisch verfolgt wurde die pompöse Stadionweihe von der französischen Besatzungsmacht, die seit 1923 im Rahmen der Ruhrbesetzung in Mülheim präsent war und hinter derartigen Massenveranstaltungen stets ein Betätigungsfeld für patriotische Agitatoren vermutete.
(Roe)