Enthüllung des Kriegerdenkmals auf dem Rathausmarkt
In Erinnerung an die Gefallenen des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71, an dessen Ende die Gründung des Deutschen Reiches stand, wurden überall in Deutschland Kriegerdenkmäler errichtet. Diese hatten eine doppelte Funktion. Indem sie die Namen der Gefallenen aus dem jeweiligen Ort dauerhaft festhielten, dienten sie dem individuellen Totengedenken. Gleichzeitig dokumentierten sie durch diese Namen den Anteil, man möchte fast von „Blutzoll“ sprechen, den die Gemeinde an der Reichsgründung gehabt beziehungsweise für diese gezahlt hat. In diesem Sinne weisen die Denkmäler über das Totengedenken hinaus, bekommen einen nationalen Charakter und dienten damit gleichzeitig als Denkmal der Erinnerung an die Reichsgründung von 1871.
Auch in Mülheim an der Ruhr ist ein solches Denkmal errichtet worden. Schon am 3. September 1871 wurde dafür in Anwesenheit der Honoratioren der Stadt auf dem „Neuen Markt“, dem heutigen Rathausmarkt, der Grundstein gelegt. In der Urkunde des Grundsteines hieß es, dass dieses Denkmal „nach glorreich beendetem Kriege gegen fränkische Tücke (...) zu Ehren der in diesem Kriege gefallenen Krieger“ errichtet werde. Diese frech behauptete „fränkische Tücke“ entspricht dem chauvinistischen Grundton der Gründerjahre und folgt eher nationaler Mythisierung als historischer Beurteilung der Kriegsereignisse – insbesondere der bewusst durch Bismarck herbeigeführten Provokation Frankreichs.
Zwei Jahre später, am 2. September 1873 konnte das Mülheimer Kriegerdenkmal enthüllt werden. In der Form entsprach das von dem Düsseldorfer Bildhauer Bayerle aus Sandstein geschaffene acht Meter hohe Monument einer freien Variation der so genannten Igeler Säule, einem berühmten antiken Grabmal aus dem Moselgebiet. Ein solches Vorbild schien der Funktion eines Kriegerdenkmals, die die Widmung explizit aussprach, angemessen zu sein: „Den 1870 – 1871 für´s Vaterland Gefallenen, die dankbare Stadt- und Landgemeinde Mülheim an der Ruhr 1873.“ Neben dieser Widmung waren die Namen aller 59 Gefallenen, die Orte bedeutender Schlachten sowie Reliefs mit symbolischen Darstellungen der beteiligten Truppenteile angebracht. Bekrönt wurde das Denkmal von einem Medaillonbildnis Kaiser Wilhelms I. und einem Adler mit ausgebreiteten Schwingen. Der Aufbau des Denkmals wurde von dem damaligen Stadtbaumeister Giovannini geleitet.
Das Datum der Grundsteinlegung sowie der Enthüllung war mit Bedacht gewählt worden. Der 2. September war seit 1871 bis zum Ende des Kaiserreiches 1918 als „Sedantag“ ein nationaler Festtag, ohne jedoch amtlichen Charakter zu erlangen. Gleichwohl vor allem beim kaisertreuen Bürgertum und Militär beliebt, hielt er die Erinnerung an die Kapitulation der französischen Armee nach der Schlacht von Sedan am 2. September 1870 und die anschließende Gefangennahme Napoleons III. wach. Nach Ende des Krieges verhalfen insbesondere die zahlreichen Krieger- und Veteranenvereine, die oftmals als Initiatoren oder besonders eifrige Unterstützer der Errichtung von Kriegerdenkmälern wirkten, diesem Tag zu einer besonderen Beliebtheit für Grundsteinlegungen und Denkmalsenthüllungen. So wurde beispielsweise auch die berühmte Berliner Siegessäule am Sedantag 1873 enthüllt – übrigens am selben Tag wie das Mülheimer Kriegerdenkmal. Sowohl die äußere Form als auch die sehr bewusste Datumswahl der mit der Errichtung verbundenen Festlichkeiten stellen das Mülheimer Kriegerdenkmal in die Reihe einer kaum zu überschauenden Fülle ähnlicher Denkmale.
Heute steht das Kriegerdenkmal – allerdings ohne den bekrönenden Adler - auf dem Wilhelmplatz.
(Ra)