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August Bungert

Wer im schönen Mülheimer Stadtteil Speldorf wohnt, der kennt seinen Namen von einem Straßenschild: Friedrich August Bungert. In dem idyllischen Viertel mit den netten Häusern, die ihm mit Sicherheit gefallen hätten, sind große, königliche Namen keine Seltenheit. So findet sich gleich in der Nähe der Name des heutigen schwedischen Königshauses Bernadotte. Ursprünglich der Name eines französischen Marschalls, war Jean-Baptiste Bernadotte 1811 vom schwedischen König Karl XIII. von Schweden adoptiert worden und heiratete die erste Verlobte von Napoléon Bonaparte Désirée Clary. Hier zeigen sich deutlich die Verstrickungen des wahren Lebens, die eben häufig genug die schönsten, aber auch die unwahrscheinlichsten sind.

Auch August Bungert ist ohne eine Majestät kaum zu erwähnen, nämlich der geborenen Prinzessin zu Wied, der späteren Königin Elisabeth von Rumänien. Die enge künstlerische Verbindung zwischen dem am 14. März 1845 in Mülheim an der Ruhr geborenen Komponisten und der einsamen und dichtenden Königin schlug sich übrigens auch in Rumänien in Form einer August-Bungert-Straße nieder. Wäre das Vaterhaus von August Bungert am Löhberg 43, Ecke Wallstraße im Jahre 1905 nicht abgebrannt, hätte Mülheim an der Ruhr ein Gedenkhaus, in dem dann leider doch nur wenig an diesen bedeutenden Mölmschen Jung erinnern würde. Zugegeben: An exponierter Stelle hinge das Faksimile der Mülheimer Volkshymne "Die Mölmsche Junges" nach einem Gedicht von Wilhelm Dickmann, die August Bungert 1909 komponierte und "Der Familie Mathias Stinnes Nachfolger" widmete. Sehr viel mehr Erinnerungen existieren nicht, denn der junge August wollte so schnell als möglich aus seinem Heimatstädtchen verschwinden. Da er in späteren Jahren noch häufig Mülheim an der Ruhr erwähnte und auch mit Gedichten oder Kompositionen bedachte, liegt die Vermutung nahe, dass familiäre Zwistigkeiten ihn aus der Stadt an der Ruhr vertrieben.

Weil nur wenige Zeugnisse aus seiner Kindheit und Jugend erhalten sind, ist die Nachwelt auf Bungerts eigenen Lebenslauf angewiesen, der ganz seiner Zeit entspricht, also deutlich romantisiert wurde und demzufolge dem Klischee des zur Musik berufenen, unverstandenen, schließlich entdeckten und aus der Enge entlassenen Genies entspricht. Wenn spätere böswillige Kritiker ihm vorwarfen, seine Musik klinge wie ledriges Zeug, und als Erklärung hinzufügten, das sei kein Wunder, der Vater sei Lederfabrikant gewesen, so ist dies nur bedingt richtig. Zur Zeit von Augusts Geburt war der Vater Hermann Bungert von Beruf Färber, doch schon in den 1850er Jahren ist belegt, dass er zu den reichen und angesehenen Kaufleuten der Stadt gehörte, denn er war Reeder, Färber sowie Besitzer einer Kleidungsmanufaktur und -fabrik, einer Druckerei und mehrerer Häuser. Die Bungerts gehörten zu den wenigen der ca. 7.000 Einwohner Mülheims, die Anteile an nahezu allen wichtigen Wirtschaftszweigen der damals noch so jungen Stadt hatten. Von finanziellen Problemen, wie August sie sich und seiner Familie später zuschrieb, konnte also wohl keine Rede sein. Unstrittig aber mag gelten, dass der Vater, der nach dem frühen Tod der Mutter Wilhelmine Terbrüggen alleine für August verantwortlich war, diese Aufgabe sehr ernst nahm – im Gegensatz zu dessen Berufswunsch Musiker. Eine sichere Existenzgrundlage war dem Vater natürlich wichtig, wofür der Sohn kein Verständnis hatte. Doch dieser Umstand ist keine Seltenheit, weder damals noch heute. Dennoch nutzte August diesen negativen Aspekt auf dramatische und poetisierende Weise, um seine Legende zu bauen – nachhaltig bestärkt durch seinen Freund und ersten Biographen Max Chop. Kein Wesenszug, der Künstlern zu irgendeiner Zeit fremd wäre, genauso wenig wie die Unterstützung durch andere. Vielmehr eine verzeihliche Schwäche eines Menschen, der sich stets behaupten und immer wieder aufs Neue beweisen muss. Der bevorzugte Lebenslauf lautet folgendermaßen:

Der Mülheimer Komponist und Dichter Friedrich August Bungert war zu Lebzeiten einer der berühmtesten Mölmschen Jungs. Auch wenn sein musikalisches Talent frühzeitig erkannt und gefördert wurde, hielt sein Vater, ein wohlhabender Kaufmann, diese Begabung für eine eher "unglückselige Neigung". Sein Sohn sollte lieber ebenfalls Kaufmann oder auch Arzt werden. Als die Mutter starb, die August zeitlebens in seiner künstlerischen Neigung unterstützt hatte, ließ sie den Zehnjährigen in einem stets sich steigernden Konflikt mit dem Vater zurück. So verwundert es kaum, dass August die nächste sich bietende Gelegenheit wahrnahm, aus dem Dunstkreis seines Vaters zu flüchten: Nach dem Schulabschluss zog er nach Köln, wo er das Konservatorium besuchte.

Als Mathilde Bruch, Schwester des Komponisten Max Bruch, im Auftrag des Pariser Conservatoire auf der Suche nach deutschen Talenten Bungert traf, entschied sie sich für ihn. In Paris zeigten berühmte Komponisten wie Berlioz, Auber oder Rossini großes Interesse an Bungert. Dessen finanzielle Situation war sehr desolat: Um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, gab er Klavierunterricht, bis der Vater ein Einsehen hatte und ihm eine kleine Unterstützung gewährte.

Enttäuscht von der Liebe und von den Musik-Koryphäen, die ihn seines Erachtens nicht genügend unterstützten, kehrte Bungert nach Deutschland zurück. 1869 nahm er eine Stelle als Chorleiter in Bad Kreuznach an und wurde später dort sogar Direktor des Kurorchesters. Doch Bungert blieb unzufrieden, zog seine Konsequenzen und ging 1874 nach Berlin, um bei dem Komponisten und Musikpädagogen Friedrich Kiel weiterzustudieren. Dort entstand das Klavierquartett Es-Dur op. 18, für das er einen Preis erhielt. Einer der Preisrichter war kein Geringerer als Johannes Brahms. Das Preisgeld ermöglichte Bungert eine Reise nach Italien. Er verliebte sich in dieses Land, das fortan eine wichtige Rolle in seinem Leben spielte. Bungert wohnte in Pegli bei Genua, einem äußerst interessanten Ort, denn einer seiner mit ihm befreundeten Nachbarn war der deutsche Philosoph Friedrich Nietzsche. Außerdem lernte er ebenda Giuseppe Verdi kennen.

Italien war auch der Ort der ersten Begegnung mit der fast gleichaltrigen Carmen Sylva, einer jungen Dichterin, die unter diesem Künstlernamen Gedichte, Erzählungen, Märchen und Romane verfasste. Außerhalb der künstlerischen Kreise war sie allerdings viel bekannter, nämlich als Königin Elisabeth von Rumänien und Prinzessin zu Wied. Über 400 Lieder komponierte Bungert, viele davon basieren auf Texten von Carmen Sylva – sie blieben zeitlebens künstlerisch verbunden. Bungert beschrieb diese fruchtbare künstlerische Beziehung in einem Brief an Chop: "So entstanden unzählige Lieder der Königin (Carmen Sylva), ich am Flügel sitzend, sie die Gedichte niederschreibend auf den Block; dann abgerissen die Blätter auf das Flügel-Notenpult noch nass hingestellt, so sang ich schon den Anfang, indessen Carmen Sylva das Gedicht zu Ende schrieb. Hier könnte ich dir die interessantesten, ja oft unheimlichsten Dinge erzählen von Dichten und Inmusiksetzen, wo der liebe Gott bei uns war." – "Bei Bungert bildet sich die Melodie, die tönende Sprache, bereits beim Lesen eines Gedichtes, am Rande des Manuskriptes oder Buches entsteht die Notenskizze", heißt es weiter bei Max Chop, und da einige Belege dafür existieren, darf man annehmen, dass die Zusammenarbeit zwischen Dichterin und Komponist wahrlich eine kongeniale Verbindung genannt werden darf.

Dennoch betont Freund Chop immer wieder Bungerts Sehnsucht nach Einsamkeit – ein Phänomen, das nicht nur bei Künstlern bekannt ist, das bei August Bungert aber gerne als Beleg für seinen Naturverbundenheit vermittelt wurde. Oder auch für seine Fähigkeit zu genießen, z.B. ein Gläschen Wein, wie auch seine Lieder Markobrunner oder Moselblümchen musikalisch belegen. Die Beziehung zwischen der rumänischen Königin und Bungert zeitigte aber noch andere Ergebnisse. So lernte Bungert durch sie viele wichtige Leute kennen und wurde auch öffentlich ausgezeichnet: 1885 erhielt er den Orden der rumänischen Krone, verbunden mit der Erhebung in den Offiziersrang. Darüber hinaus schenkte Carmen Sylva 1894 ihrem angestammten Komponisten ein Haus in Leutesdorf, direkt am Rhein. Zu dieser Zeit, um die Jahrhundertwende, feierte Bungert seine größten Erfolge. Eines seiner wichtigsten Werke war die Tetralogie "Die Homerische Welt", die sich deutlich gegen Richard Wagners "Ring des Nibelungen" richtete. Während Wagner die nordische Mythologie zu Grunde legte, wählte Bungert die griechische Klassik als Sujet. 1896 uraufgeführt in Dresden, folgten bis 1910 mehr als 100 Aufführungen. Es war das "Riesenwerk" seines Lebens und brachte ihm viel Ruhm und Ehre, aber auch Geld ein: Die Einnahmen aus der Tetralogie beliefen sich Anfang des 20. Jahrhunderts auf 400.000 Mark.

Der ständige Vergleich mit Wagner fiel – im Nachhinein – deutlich zu Bungerts Ungunsten aus, was aber darüber hinwegtäuscht, dass er damals sehr wohl angesehen und verehrt wurde. Sogar ein eigenes Festspielhaus in Bad Godesberg war im Gespräch. Im Gegensatz zu Bayreuth sollten hier zwar viele Bungert-Werke, aber eben nicht ausschließlich gespielt werden. Doch dazu kam es nicht mehr. Zusätzlich zu den zahlreichen und starken Wagnerianern überwarf sich Bungert mit einer Vielzahl von wichtigen Leuten. Seine überzogenen Honorarvorstellungen verhinderten weitere Aufführungen, sein Werk geriet zu Unrecht in Vergessenheit. Der Komponist selbst zog sich in sein mondän eingerichtetes Haus in Leutesdorf zurück, wo er am 26. Oktober 1915 nach längerer Krankheit als (mürrischer) Einsiedler starb. Er wurde auf dem Friedhof der Feldkirche in Neuwied beerdigt.

Ein Relief August Bungerts zu Ehren des Mülheimer Komponisten hängt im Marmorsaal der Mülheimer Stadthalle.

(Text: Astrid Kordak; Abbildungen: Stadtarchiv Mülheim an der Ruhr)