Sorry, you need to enable JavaScript to visit this website.
Direkt zum Inhalt

Das Kriegsende 1945

Der 11. April 1945 war ein schöner Frühlingstag. Für viele der 88.000 Mülheimer, die in ihrer Stadt aushalten mussten oder freiwillig geblieben waren, verlief dieser letzte Kriegstag in dem seit Wochen gewohnten Rhythmus. Trotz Bedrohung durch Bomben und Granaten waren die meisten von ihnen wie immer zur Arbeit gegangen. Mit einem Angriff auf die schwer zerstörte Stadt oder mit ihrer Besetzung musste täglich gerechnet werden. Und als dann schließlich die Amerikaner einrückten, wurde diese Veränderung apathisch hingenommen. Es ist daher auch kaum verwunderlich, dass Augenzeugen verschiedenen Alters, die später befragt wurden, sich nicht mehr genau daran erinnern konnten, wie es damals war, als die Amerikaner einmarschierten. Man wusste nicht einmal mehr, wo die erste Begegnung mit den Besatzungssoldaten stattgefunden hatte. So ist die folgende Schilderung des Kriegsendes in Mülheim vorwiegend nach Berichten der Tageszeitungen und anderer Publikationen der 50er und 60er Jahre zusammengestellt worden.

Als angloamerikanische Truppen Anfang März das linke Rheinufer erreicht hatten, war Mülheim Frontstadt geworden. Von nun an lag die Stadt im Wirkungsbereich der Artillerie, die mit Störfeuer besonders die Stadtmitte und die Ruhrbrücken belegte. Dass der Rhein den Vormarsch der Alliierten nur kurzfristig würde aufhalten können, dürfte kaum bezweifelt worden sein. Tatsächlich setzten dann auch die Truppen Montgomerys schon am 23. März bei Wesel über den Strom. Aber ihr Ziel waren nicht die rheinisch-westfälischen Großstädte, sondern die Einkesselung des gesamten Ruhrgebiets. Am 1. April vereinigten sie sich im Raum Lippstadt nach einer großen Zangenbewegung mit den aus dem Brückenkopf von Remagen vorgestoßenen Amerikanern. Das Ruhrgebiet war eingeschlossen, und in den folgenden Tagen wurde Stadt für Stadt eingenommen oder kampflos übergeben: Am 1. April Recklinghausen, am 6. April Hamm, am 9. April Wanne-Eickel und am 10. April Herne, Bochum, Wattenscheid und Oberhausen. An diesem Tage hatten die Amerikaner das Mülheimer Stadtgebiet im Norden und im Osten erreicht. Nur das südlich gelegene Gebiet von Köln bis zum Sauerland war noch unbesetzt. Um so erstaunlicher ist, dass auch am 11. April viele Mülheimer den Tag "normal" - soweit man das Leben in der truppenbelagerten Stadt überhaupt so bezeichnen kann - begannen.

Die Beschäftigten der Stadtverwaltung waren am 11. April wie immer um 8.00 Uhr zum Dienst erschienen. Die Dienststellen waren zwar nicht mehr vollständig besetzt, denn Teile der Polizei, des Luftschutzes und des Feuerschutzes waren auf Anordnung des Oberhausener Polizeipräsidenten evakuiert worden. Soweit ihre Betriebe noch nicht geschlossen waren, mussten die Beschäftigten zu Fuß oder mit dem Fahrrad ihre Arbeitsplätze aufsuchen. Der Straßenbahnverkehr war seit 14 Tagen eingestellt, weil die Wagen für Artillerie und Jagdbomber ein leicht auszunehmendes Angriffsziel boten.

Nur wenig Militär war noch in der Stadt. In den letzten Märztagen hatten die zwei Grenadierersatzkompanien die Kasernen und eine Fallschirmeinheit ihre Privatunterkünfte verlassen. Zur Verteidigung stand das 183. Volksgrenadierregiment mit 200 Soldaten und nominell 3000 Volkssturmleuten zur Verfügung. Durch den Bau von Straßenhindernissen und die Sprengung von Brücken wurde die Verteidigung der Stadt vorbereitet. Auch am 11. April morgens waren die Sprengkommandos des Volkssturms unterwegs. Sie sorgten dafür, dass die Bevölkerung noch einmal durch einige starke Detonationen aufgeschreckt wurde, als sie die Thyssen-Brücke, die Siegfriedbrücke und die Eisenbahnbrücke im Zuge der Oberhausener Straße in die Luft jagten. Die Stadtverwaltung hatte vergeblich versucht, diese Sprengungen zu verhindern, wie es ihr auch am Vortag nicht gelungen war, die Mendener Brücke zu erhalten. Kahlenberg-, Raffelberg- und Kolkerhofbrücke waren bereits zerstört worden.

Nur die Schloßbrücke blieb unzerstört, obwohl mehrmals die Sprengung angeordnet worden war. Zunächst wurde die Brücke nur für jeglichen Verkehr gesperrt. Die Stadt setzte sofort eine Fähre ein, die die Verbindung zwischen den Stadtteilen links und rechts der Ruhr aufrechterhalten sollte. Bereits bei der zweiten Fahrt wurden durch einen Artillerievolltreffer 10 Fahrgäste getötet und viele Personen schwer verletzt. Den Fußgängern wurde daraufhin die Schloßbrücke wieder geöffnet und der Fährbetrieb eingestellt. Dass die Brücke auch in den nächsten Tagen nicht gesprengt wurde, ist dem geschickten Taktieren des Unteroffiziers Steuer zu verdanken, der das Sprengkommando führte. Die Stadt Mülheim hat ihm nach seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft für sein Verhalten gedankt und ihm beim Wiederaufbau seines bombengeschädigten Hauses in Merzig geholfen.

Auch auf ihre Zeitung brauchten die Mülheimer an jenem Tag, als für sie der Krieg zu Ende ging, nicht zu verzichten. Die zweiseitige Notausgabe gab ihnen einen Überblick über den Ernst der Lage. Nach dem abgedruckten Wehrmachtsbericht vom 10. April wurde in Ratibor, Breslau und Königsberg gekämpft. Im Westen war der Gegner nach Hannover und Göttingen, nach Crailsheim und Heilbronn vorgestoßen. Panzerspitzen hatten bereits den Thüringer Wald erreicht. Der Zusammenbruch des deutschen Reiches war nur noch eine Frage der Zeit. Aber auch für die, die immer noch an ein Wunder glaubten, hatte die Zeitung eine besondere Meldung bereit: Die Differenzen zwischen Angloamerikanern und Sowjets seien so groß, dass der frühere USA-Präsident Hoover in einer Rede ganz offen von einem 3. Weltkrieg gesprochen habe.

Die Heißener Polizisten werden am Morgen des 11. April keine Zeit mehr gehabt haben, die Zeitung ausgiebig zu studieren. Sie meldeten in den frühen Morgenstunden dem Polizeibunker Von-Bock-Straße: "Amerikanische Truppen rücken aus Richtung Essen an." Als man kurze Zeit später Einzelheiten wissen wollte, meldete sich der Revierführer nicht mehr. Mit erhobenen Händen hatten die Polizeibeamten das Revier verlassen. Es waren die ersten Kriegsgefangenen, die die Amerikaner in Mülheim machten.

Von zwei Seiten stießen die Soldaten des 513. Fallschirmjägerregiments, die zur 17. US-Landedivision gehörten, unter Leitung von Lt. Colonel Ryan auf Mülheim vor. Die kleinere Gruppe folgte dem Ruhrschnellweg, die Hauptkräfte marschierten auf direktem Wege zur Stadtmitte. Die Volkssturmleute wichen ihnen überall kampflos aus. Als die über den Dickswall anrückenden Amerikaner die Kämpchenstraße erreicht hatten, versuchte jedoch eine kleine Nachhut des Volkssturms sie aufzuhalten. Ein Volkssturm-Mann beschoss mit seiner Panzerfaust einen heranfahrenden Jeep. Dem kurzen Feuergefecht vielen zwei Amerikaner und fünf Volkssturm-Männer zum Opfer.

Alle Polizeidienststellen, die Besatzung des Befehlsbunkers an der Von-Bock-Straße und das Wehrmeldeamt ergaben sich kampflos. Es war genau 9.40 Uhr, als der erste amerikanische Jeep das Rathaus erreichte. Hinter seinem Schreibtisch empfing Oberbürgermeister Edwin Hasenjäger den ersten Besatzungsoffizier. Es wurde kein Händedruck gewechselt. "Sind Sie der Bürgermeister?", fragte der Offizier. "Nein, der Oberbürgermeister", erklärte der Angesprochene. Der Offizier übergab dem Oberbürgermeister einige Plakate mit den ersten Anordnungen der Militärverwaltung mit dem Befehl, sie an geeigneter Stelle ankleben zu lassen. Kurz darauf traf Major Keene im Rathaus ein und ließ sich ein Büro zur Verfügung stellen. Er war der erste Besatzungskommandant. Vom Vorzimmer des Oberbürgermeisters aus ließ er eine Verbindung zur Stadtverwaltung Duisburg herstellen. Er wollte das dortige Stadtoberhaupt sprechen, um die Übergabe der Stadt vorzubereiten. Doch in Duisburg legte man den Hörer auf.

Gegen Mittag waren weitere amerikanische Truppen in Mülheim eingerückt. Fahrzeugkolonnen verstopften den Hingberg. Aus dem Rathaus konnte man die modernen Feldküchen beobachten. Es gab Spiegeleier und blendend weißes Brot.

Inzwischen rückten die ausländischen Zwangsarbeiter aus den Lagern an. Geschäfte in der Innenstadt wurden geplündert. Es kam zu Misshandlungen, einmal sogar zu einer Schießerei. Französische Kriegsgefangene stellten sich den Plünderern entgegen. Sie waren in Mülheim gut behandelt worden und wollten nun deutsches Eigentum schützen. Es gab noch Tote. Hauptziele der Plünderer waren das Wehrmachtslager in der Infanteriekaserne und das Gebäude der Kreisleitung gegenüber dem Evangelischen Krankenhaus. Die hier Dienst taten, hatten sich einige Tage vorher abgesetzt. An dieser Plünderung beteiligten sich auch Mülheimer. Gegen Abend bereiteten amerikanische Soldaten dem Treiben ein Ende.

Einen Tag nach der Besetzung Mülheims wurde Oberbürgermeister Hasenjäger von einem CIC-Offizier abgeholt. Er sollte an einer Lagebesprechung teilnehmen und bald zurückkehren. Aus den angekündigten vier Tagen wurden fünf Monate Internierung. Bevor Hasenjäger den Jeep bestieg, hatte er den Beigeordneten Dr. Langweg mit der Leitung der Stadtverwaltung beauftragt. Die Besatzung in Mülheim hatte begonnen.

(Gekürzte Fassung von: "Das Kriegsende in Mülheim - Die Amerikaner kamen aus Essen" von Kurt Wickrath, in Mülheimer Stadtspiegel 1985, Heft 5, S. 5-11)

Bevölkerung 
1939136.828 Einwohner
1945 (1.5.)88.000 Einwohner
1945 (31.12.)125.000 Einwohner
Kriegsschäden
 
 
Wohngebäude5.600 (von 15.000)
Wohnungen13.000 (von 43.000)
Trümmerschuttbeseitigung1 Million Kubikmeter
Zerstörte Brücken22
Luftkrieg 
Luftangriffe160
Zivile Opfer1.096