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Die Familie Kufferath

Der Name Kufferath, im 19. Jahrhundert verbunden mit Musikern von europäischem Format, ist in Mülheim an der Ruhr kaum noch jemandem ein Begriff. Ältere Mülheimer mögen sich vielleicht noch an eine Tanzschule dieses Namens erinnern, die vor dem Zweiten Weltkrieg der Jugend die klassischen Standardtänze beibrachte. Weitgehend unbekannt sind heute jedoch die sieben Gebrüder Kufferath, die allesamt über ein ungewöhnliches musikalisches Talent verfügten und daher von ihren Zeitgenossen als „musikalisches Siebengestirn“ bezeichnet wurden.


Stammvater der Mülheimer Dynastie ist der Papiermacher Peter Kufferath, den es Mitte des 18. Jahrhunderts – vermutlich aus beruflichen Gründen - nach Mülheim verschlagen hatte. Hier heiratete er im Jahre 1771 Agnes Malabrè, die wie er selbst katholischen Glaubens war und der Gemeinde von Sankt Mariae Geburt angehörte. Zwischen 1771 und 1791 brachte Agnes Kufferath geb. Malabrè ingesamt fünf Kinder zur Welt, darunter Sohn Carl, der schon als Heranwachsender seine Liebe zur Musik entdeckte und diese Leidenschaft nach seiner Heirat mit Anna Catharina Horst (1796) an die Mehrzahl seiner insgesamt 11 Kinder weitergab. Carl Kufferath, von Beruf Uhrmacher, wird in den Lexika zur Musikgeschichte als „musikliebender Laie“ charakterisiert. Sieben seiner Söhne – das bereits erwähnte „musikalische Siebengestirn“  - machten im Gegensatz zu ihrem Vater die Musik zu ihrem Beruf. Drei von ihnen gingen ins europäische Ausland und waren dort als Musiker, Dirigenten und Komponisten so erfolgreich, dass sie von der Nachwelt als „lexikonwürdig“ eingestuft wurden und heute in den einschlägigen biographischen Nachschlagewerken der Musikgeschichte zu finden sind. Belgien und die Niederlande wurden zu ihrem Hauptwirkungsfeld: Der älteste Sohn Johann Hermann prägte mehr als drei Jahrzehnte das Musikleben in Utrecht; Ludwig (Louis) verschlug es als Musiker und Komponist nach Gent, während sich der jüngste Sohn, Hubert Ferdinand, als Komponist in Brüssel einen Namen machte. Freundschaftliche Kontakte verbanden die Kufferaths mit zahlreichen Größen der damaligen Musikwelt wie Robert und Clara Schumann, Johannes Brahms oder Felix Mendelssohn-Bartholdy.


Johann Hermann Kufferath (*12. Mai 1797 in Mülheim an der Ruhr; †28. Juli 1864 in Wiesbaden), der älteste Sohn, erhielt die ersten musikalischen Unterweisungen an der Geige von seinem Vater Carl. Schon früh zeigte sich seine außergewöhnliche Begabung:  Im Alter von acht Jahren spielte er bereits vor öffentlichem Publikum ein Violinkonzert. Nach diesem Auftritt nahm ihn der Duisburger Geiger Johann Alexander als Schüler auf und machte ihn zudem mit den Grundlagen der Kompositionslehre vertraut.

In der Zeit der Freiheitskriege wurde er – gerade einmal 15 Jahre alt – zum Leiter eines Landwehr-Musikkorps gewählt. Seine Stationierung in Dortmund nutzte er, um  Geigenunterricht bei einem Schüler von Louis Spohr zu nehmen. In den Kriegsjahren 1813/14 diente er als einfacher Musiker in einem Linienregiment, das zeitweise in Köln stationiert war.  Nach dem Krieg blieb er zunächst in Köln, kehrte dann aber in seine Heimatstadt Mülheim zurück, um dort als Dirigent zu arbeiten. 1822 ging er nach Kassel, wo er bei dem Violinvirtuosen Louis Spohr Unterricht erhielt und parallel dazu bei dem Spohr-Schüler Moritz Hauptmann in Komposition unterwiesen wurde. 1824 folgte er einem Ruf als Musikdirektor nach Bielefeld. Dort betätigte er sich sowohl als Dirigent als auch als Violinsolist und setzte dabei neue Akzente im Bielefelder Musikleben, unter anderem durch die Einführung von Abonnementskonzerten (1826/27).

Angebote aus Köln und Paderborn, dort Konzertmeister bzw. Kapellmeister zu werden, lehnte er ab. Stattdessen entschied er sich, im niederländischen Utrecht eine Stelle als Musikdirektor des städtischen Orchesters anzunehmen (1830). Dort leitete er die sogenannten „Winterkonzerte“ (Concerts d'hiver), die Gesangsschule sowie den lokalen Gesangsverein. Aufgrund seiner guten persönlichen Kontakte gastierten nicht selten berühmte Musiker in Utrecht. Die Pianistin Clara Schumann gehörte zu den regelmäßigen Gastsolisten ebenso wie die Geigenvirtuosen Henryk Wieniawski und Henri Vieuxtemps. Der Komponist Robert Schumann ließ es sich nicht nehmen, die Ouvertüre zu seiner Oper „Genoveva“ bei einem Auftritt im Jahre 1853 höchstpersönlich zu dirigieren.

Wie schon zuvor in Bielefeld, machte sich Johann Kufferath auch in Utrecht um das städtische Musikleben verdient und förderte mit seinen Konzerten gezielt die Verbreitung der Werke von Felix Mendelssohn-Bartholdy und Robert Schumann. In seiner Utrechter Zeit war er auch als Komponist ausgesprochen produktiv. Die meisten seiner Kompositionen, vor allem Festkantaten, Ouvertüren, Motetten sowie weitere Chor- und Vokalmusikwerke entstanden hier und wurden von den zeitgenössischen Kritikern sehr gelobt. Nach mehr als 30 Jahren in Diensten der Stadt Utrecht zog er sich 1862 nach Wiesbaden zurück, wo er die letzten zwei Lebensjahre bis zu seinem Tod verbrachte.


Über Carl Theodor Kufferath (*25. Oktober 1801 in Mülheim an der Ruhr; †1. Februar 1865 in Duisburg), den vier Jahre jüngeren Bruder von Johann Hermann, ist nur wenig bekannt. In etlichen Beiträgen über die Familie Kufferath wird er völlig ignoriert und sein jüngerer Bruder Hermann als der Zweitgeborene bezeichnet. Er verdiente seinen Lebensunterhalt vermutlich als Geiger und Geigenlehrer und verließ zeit seines Lebens Mülheim und Umgebung nicht.


Hermann Kufferath (*23. Dezember 1802 in Mülheim an der Ruhr; †29. März 1886 ebenda), der Drittgeborene, war ebenso heimatverbunden wie sein ein Jahr älterer Bruder Carl Theodor. Sein bevorzugtes Instrument war das Cello, das er nach Unterrichtsstunden bei dem bekannten Cellisten und Beethovenfreund Bernhard Romberg meisterhaft beherrschte. Zudem galt er als brillanter Schachspieler und ausgezeichneter Tänzer mit der Lizenz zum Unterrichten. Als Tanzlehrer gab er öffentliche Kurse oder ließ sich von wohlhabenden Privatleuten verpflichten. Die Heirat mit der Mülheimer Wirtstochter Elisabeth Mentzen war vermutlich der Grund für seine spätere Tätigkeit als Gastronom. Am Notweg – der heutigen Friedrich-Ebert-Straße – eröffnete er 1859 ein Weinlokal, das er bis zu seinem Tod führte. Die Söhne erbten sein musikalisches Talent: August wurde ein erfolgreicher Pianist mit Wohnsitz in Bonn, Karl arbeitete wie sein Vater als Musik- und Tanzlehrer in Mülheim und der jüngste Sohn Wilhelm machte in Meiningen und Oldenburg Karriere als (Solo-)Cellist.


Auch Heinrich Kufferath (*20. Oktober 1807 in Mülheim an der Ruhr; †19. Mai 1882 ebenda), der vierte Bruder, fand in seiner Heimatstadt Mülheim sein Auskommen als Musiker und Musiklehrer. Er wurde bekannt als Lehrer des späteren Komponisten August Bungert und förderte schon in jungen Jahren dessen Talent. Die Mülheimer Bürger schätzten ihn zudem als Gründer und musikalischen Leiter des Männergesangsvereins „Frohsinn“. Aus der Ehe mit Francisca Blancjour ging Sohn Julius hervor, der sich als Pianist einen Namen machte und in der Nähe von Köln lebte und arbeitete.


Louis Kufferath (*23. November 1811 in Mülheim an der Ruhr; †2. März 1882 in Brüssel), der fünfte der sieben Brüder, hieß eigentlich „Ludwig“ und hatte als Heranwachsender das Klavier als „sein“ Instrument gewählt. Er ging 1833 nach Dessau, um dort bei dem Komponisten Friedrich Schneider Musik zu studieren. 1836 bot man ihm im niederländischen Leeuwarden eine Stelle als Direktor der Musikschule an. 14 Jahre lang blieb er in diesem Amt. Danach lebte er als freier Pianist und Komponist im belgischen Gent. Louis Kufferath schrieb eine Messe, eine Kantate, Klaviermusik, Chorwerke, Lieder und rund 250 Kanons. 1882 starb er in Brüssel.


Friedrich (Fritz) Wilhelm Kufferath (*9. Februar 1816 in Mülheim an der Ruhr; †1. April 1885 in Köln), der sechste Bruder, gehört wiederum zu den weniger erforschten Mitgliedern der Familie Kufferath. Er verdiente seinen Lebensunterhalt als Klavierlehrer in Köln.   


Hubert Ferdinand Kufferath (*10. Juni 1818 in Mülheim an der Ruhr; †23. Juni 1896 in Brüssel) war der jüngste der sieben Brüder, mit einem Altersabstand von immerhin 21 Jahren zum ältesten Bruder. Wie schon zuvor bei seinen Geschwistern, kümmerte sich der Vater um seine musikalische Ausbildung und ließ ihn gleich drei Instrumente - Klavier, Geige und Flöte - lernen. Im Alter von 16 Jahren ging der junge Ferdinand zu seinem Bruder Johann nach Utrecht, um dort von ihm Geigenunterricht zu erhalten. In Köln setzte er 1837 seine Studien fort.

Nicht als Geiger, sondern als Pianist trat der vielseitig begabte Hubert Ferdinand beim Niederrheinischen Musikfest 1839 in Düsseldorf auf, wo der Komponist Felix Mendelssohn-Bartholdy auf ihn aufmerksam wurde. Dieser holte ihn zu sich nach Leipzig, um ihn in den Kreis seiner Klavier- und Kompositionsschüler aufzunehmen. Auch der Komponist Moritz Hauptmann zählte in Leipzig zu Hubert Ferdinands Lehrern, ebenso wie der bekannte Violinvirtuose Ferdinand David. Das Studium der Violine trat jedoch bald zurück zugunsten des Klaviers und der Komposition, worin er seine wahre Berufung sah. Als musikalisches Ausnahmetalent und Zögling von Mendelssohn hatte er das Privileg, in der Konzertsaison 1840/41 zweimal im Leipziger Gewandhaus sowohl als Pianist als auch als Komponist in Erscheinung zu treten. Er erregte so die Aufmerksamkeit von Robert Schumann und dessen Frau Clara, was den Beginn einer langjährigen Freundschaft bedeutete.

1841 kehrte er nach Köln zurück, wo er eine Stelle als Dirigent des Männergesangsvereins antrat. Offenbar erfüllte ihn diese Aufgabe jedoch auf Dauer nicht. Er blieb nur ein halbes Jahr im Amt und begab sich dann für zwei Jahre „auf Reisen“, das heißt er lebte von wechselnden Engagements. 1844 ließ er sich als Lehrer für Klavier und Komposition in Brüssel nieder und betreute ab 1847 den jungen, ein Jahr zuvor gegründeten Männergesangsverein. Er organisierte Konzertreihen und lud Musiker aus seinem Bekanntenkreis nach Brüssel ein. Die Pianistin Clara Schumann gab regelmäßig Konzerte vor Ort und nutzte diese Besuche, um mit Huberg Ferdinand privat zu musizieren und ihre Freundschaft mit dem Ehepaar Kufferath zu pflegen. Gekrönt wurde seine musikalische Laufbahn im Jahre 1872, als er vom Königlich-Belgischen Konservatorium zum Professor für Komposition berufen wurde.

Das Gesamtwerk Hubert Ferdinands umfasst sowohl Instrumental- als auch Vokalwerke. Am bekanntesten ist jedoch seine „Praktische Choralschule“, ein Lehrbuch, das sich bei Musikstudenten in Belgien und Frankreich als Standardwerk etabliert hat. Ihm wird zudem das Verdienst zugeschrieben, in Belgien als erster die Musik Robert Schumanns bekannt gemacht zu haben.

Hubert Ferdinand war mit der aus Köln stammenden Christine Dumont (1819–1905) verheiratet, sie hatten acht Kinder. Sein Sohn Maurice (1852–1919) war als Musikverleger und Cellist tätig, seine Tochter Antonia (1857–1939) studierte Gesang und war in den 1880er Jahren eine gefragte Sopranistin.


Maurice Kufferath (*8. Januar 1852 in Saint-Josse-ten-Noode, Belgien; †8. Dezember 1919 in Uccle, Belgien), Sohn von Hubert Ferdinand Kufferath, wuchs genau  wie seine Geschwister in einem musikalischen Umfeld auf. Er studierte Musik zunächst in Brüssel, später in Leipzig. Dort machte er die Bekanntschaft von Franz Liszt und Richard Wagner. Die Musik des Letzteren beeindruckte ihn derartig, dass er nach seiner Rückkehr nach Brüssel den belgischen Ableger der Richard-Wagner-Gesellschaft gründete. Von 1900 bis 1919 leitete er als Intendant die Brüsseler Oper La Monnaie und wurde durch seine Inszenierungen zu einer zentralen Figur in der Musikwelt Belgiens. Er betätigte sich zudem als Librettist und war Redakteur der Zeitung  Indépendance Belge, wo er sich als Musikkritiker einen Namen machte. Seine Cousine Elisa Kufferath (1875-ca.1899) war eine bekannte zeitgenössische Violioncellistin; sein Sohn Camille, ein Opern- und Ballettkomponist, trug das musikalische Erbe der Kufferaths in die dritte Generation.


Antonia (Tonia) Kufferath (*28. Oktober 1857 in Brüssel; †26. Oktober 1939 in Shenley, England) war die Schwester von Maurice Kufferath und eine bekannte Sopranistin ihrer Zeit. Nach ihrem Studium bei den Gesangspädagogen Julius Stockhausen (Berlin) und Pauline Viardot-Garcia (Paris) gab sie 1878 ihr Debüt mit einem Auftritt in Berlin und machte anschließend international Karriere als Konzert- und Oratoriensängerin. Sie genoss einen hervorragenden Ruf und wurde von musikalischen Größen ihrer Zeit wie Johannes Brahms, Franz Liszt und Edward Elgar für Uraufführungen und besondere Gedenkveranstaltungen verpflichtet. Brahms und Elgar widmeten ihr sogar einige ihrer Werke. 1882 gab sie ihr Debüt in England und machte sich auch dort mit Konzerten und Liederabenden einen Namen. 1885 heiratete sie den verwitweten Bankier und Musikschriftsteller Edward Speyer. Nach einer zehnjährigen Familienpause konnte sie 1895 wieder an ihre alten Erfolge anknüpfen. Clara Schumann, eine enge Freundin ihrer Eltern, begleitete Antonias Karriere mit großer Anteilnahme und öffnete ihr dabei auch manche Tür.


Wilhelm Kufferath (*6. April 1853 in Mülheim an der Ruhr; †2. März 1936 in Oldenburg) wiederum gehörte zu dem Teil der Familie, der in Deutschland blieb und dort Karriere machte.

Wie zuvor bereits erwähnt, wuchs Wilhelm als Sohn des Musik- und Tanzlehrers Hermann Kufferath in Mülheim auf. Nach dem Abschluss der Oberrealschule ging er zum Cellostudium an das Konservatorium nach Köln. Sein erstes Engagement fand er als Solocellist bei Benjamin Bilse in der sogenannten Bilse’schen Kapelle. Ausgedehnte Konzertreisen führten das Orchester quer durch Europa, unter anderem nach St. Petersburg, Riga, Warschau, Amsterdam und Wien. Die nächsten Stationen in Wilhelm Kufferaths Karriere waren die Meininger Hofkapelle sowie Bremen, wo er sich für jeweils ein Jahr als Solocellist verpflichtete. Zur Konzertsaison 1877/78 wechselte er zur Großherzoglichen Hofkapelle nach Oldenburg. Dort arbeitete er zusammen mit Komponisten und Dirigenten wie Richard Wagner, Johannes Brahms, Hans von Bülow, Hans Pfitzner, Leo Blech und Siegmund von Hausegger. Neben seiner Tätigkeit in Oldenburg war Wilhelm Kufferath ein gefragter Gastsolist bei Konzerten anderer Orchester  – so etwa in Bremen unter Hans von Bülow. Als Dirigent und Chorleiter leitete er verschiedene Gesangsvereine in Oldenburg. Sein Sohn Hans trat als Violoncellist in die Fußstapfen seines Vaters ebenso wie sein Enkel Hans-Wilhelm (1939-2016), der sich als Cellist und Dirigent einen Namen machte.

Während in Oldenburg, in den Niederlanden oder auch in Belgien die Erinnerung an die Musikerfamilie Kufferath von Musikhistorikern gepflegt wird, ist diese ungewöhnliche Familie in ihrer ursprünglichen Heimat Mülheim heute weitgehend in Vergessenheit geraten.

(Bearbeitete Fassung von "Die Musikerfamilie Kufferath" von Jens Roepstorff, in: Mülheimer Jahrbuch 2016, S. 134-139)