Die jüdische Großfamilie Leffmann war seit mindestens fünf Generationen in Saarn ansässig. Insgesamt acht Familienangehörige wurden im nationalsozialistischen Deutschland ermordet. Fünf von ihnen hatten ihren letzten, freigewählten Wohnort in der Düsseldorfer Straße 16 (früher Saarn I/296) in Mülheim an der Ruhr.
Moritz Leffmann, geboren am 1. März 1832, verstorben 1898 in Saarn, verheiratet mit Sara, geborene Herz aus Goch, verstorben 1907 in Saarn, betrieb dort seit Mitte des 19. Jahrhunderts eine Metzgerei und handelte mit Schlachtvieh. Seine beiden älteren Brüder waren ebenfalls in Saarn geschäftsansässig, Aron mit einem Vieh- und Milchhandel in der Saarner Straße 60 und Bernhard ebenfalls mit einer Metzgerei.
Moritz und Sara hatten acht Kinder, von denen eines kurz nach der Geburt starb und eines als Teenager. Nach Moritz‘ Tod am 7. Februar 1898 zog seine Witwe Sara nach Selbeck, wo die Familie ein weiteres Haus besaß.
Die älteste Tochter, Emilie (Emilia) Hanny ist laut Einwohnermeldekarte und der Sterbeurkunde am 1. März 1866 geboren. Emilia heiratete nicht, blieb im Elternhaus wohnen und kümmerte sich um ihre große Familie.
Die zweite Tochter, Rosalie, geboren am 24. Juli 1867, heiratete den zwei Jahre jüngeren, aus Langweiler an der Mosel zugezogenen Metzger Leopold Jacobs (in anderen Dokumenten auch Jakobs). Die beiden zogen in die Selbecker Immobilie der Familie Leffmann in der Düsseldorfer Chaussee 382 (heute Kölner Straße) und betrieben dort ein Kolonialwarengeschäft. 1933 übergaben sie das Geschäft und zogen in Rosalies Elternhaus in Saarn, wo Leopold in der Metzgerei der Familie Leffmann mitarbeitete, bis er am 11. Oktober 1936 in Neuss verstarb. Rosalie zog daraufhin zunächst zurück nach Selbeck. 1938 verkaufte sie dann aber die Immobilie und kam zurück in die Düsseldorfer Straße 16.
Der älteste Sohn, Louis, wurde am 16. Dezember 1869 geboren. Er erlernte, wie sein Vater, das Metzgerhandwerk und übernahm nach dem Tod seines Vaters die Metzgerei und später auch das Haus in der Düsseldorfer Straße 16. Er war offensichtlich in Saarn wohl etabliert. So gibt es von ihm ein Foto als Mitglied der freiwilligen Feuerwehr. Er blieb ledig.
Frieda wurde am 25. Oktober 1874 geboren. Wie ihre älteste Schwester Emilia blieb auch sie unverheiratet und kümmerte sich um den großen Haushalt in der Düsseldorfer Straße 16. Sie starb mit nur 53 Jahren am 2. Dezember 1927.
Moritz' und Saras jüngster Sohn, Eduard, wurde am 28. Mai 1879 geboren. Er besuchte von 1890 bis 1898 das Realgymnasium in Mülheim (heute Karl-Ziegler-Schule) bis zur sogenannten Obersekundareife (Fachhochschulreife). Danach studierte er Elektrotechnik und wurde Ingenieur. Es ist leider nicht bekannt, wo er tätig war. Wie sein Bruder Louis und seine Schwestern Emilie und Frieda blieb Eduard unverheiratet und wohnte ebenfalls zeitlebens in der Düsseldorfer Straße 16.
Sohn Arthur, geboren am 21. Dezember 1877, wurde Kaufmann und lernte in den Anfangsjahren des zwanzigsten Jahrhunderts in Bonn die Verkäuferin Sara Bier (in anderen Dokumenten auch Sidonie Wier) kennen, die aus einer Kölner Metzgerfamilie stammte. Am 31. Juli 1904 wurde in Bonn ihr erster Sohn Manfred geboren, am 5. September 1904 heirateten die beiden dort. Nach der Hochzeit zogen sie nach Wanne (heute Wanne-Eickel, Stadtteil von Herne), wo sie in der Bahnhofstraße 83a (seit 1907 Bahnhofstraße 134) ein Gemüsegeschäft betrieben. Sie wohnten in dieser Zeit in der Bahnhofstraße 77b, wo Sohn Dagobert am 6. April 1906 geboren wurde, und dann in einem Neubau in der Moltkestraße 77b, wo Albert am 11. Oktober 1907 auf die Welt kam. Sara starb im Jahr 1913 mit nur 33 Jahren bei einer Fehlgeburt in Dortmund. Arthur zog daraufhin mit seinen drei unmündigen Söhnen zurück nach Mülheim ins Elternhaus in der Düsseldorfer Straße 16 und arbeitete als Geschäfts-/Handlungsreisender. Nur vier Jahre später, am 23. Februar 1917 verstarb auch er. Seine drei verwaisten Söhne Manfred, Dagobert und Albert wurden fortan von den unverheirateten Onkeln (Louis und Eduard) und Tanten (Emilia und Frieda) großgezogen.
Manfred wurde Kaufmann und kam viel herum, so wohnte er unter anderem in Thüringen, Worms und Duisburg. Zwischendurch kehrte er immer wieder für kurze Zeit in die Düsseldorfer Straße zurück, wo er ab dem 1. Januar 1936 auch blieb. Verheiratet war er bis dahin nicht.
Dagobert besuchte das Gymnasium bis zur Untertertia und erlernte dann das Metzgerhandwerk wie sein Onkel Louis. Bis auf ein Jahr der Wanderschaft blieb er in Saarn. Am 3. März 1930 heiratete er die am 26. November 1910 in Mülheim geborene Katholikin Getrud Maria Baumanns und zog mit ihr nach Broich in die Graf-Wyrich-Straße 32, wo er sich mit einem eigenen Viehhandel selbständig machte. Nach nur drei Jahren, am 30. März 1933, zog die junge Familie zurück in die Düsseldorfer Straße 16, wo Dagobert nach und nach die Fleischerei von seinem Onkel Louis übernahm, in der dann auch Getrud mitarbeitete. Die beiden hatten vier Kinder, die alle in Mülheim blieben.
Albert machte nach der sechsten Klasse der Oberrealschule eine technische Lehre und wurde Schlosser (oder Elektrotechniker, wie an anderer Stelle angegeben). Wie sein ältester Bruder Manfred zog er in den nächsten Jahren durch Deutschland und verbrachte dabei auch einige Zeit in Stuttgart. Immer wieder zwischendurch und endgültig ab dem 5. April 1936 kam er in die Düsseldorfer Straße 16 zurück. Während dieser Zeit wurde er als Kaufmann, Vertreter oder Handlungsreisender geführt. Am 12. Oktober 1937 heiratete er die fast zehn Jahre jüngere, am 31. Mai 1916 in Viersen geborene, Verkäuferin Berta Koffler (auch Kowler). Das Paar blieb kinderlos.
Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung wurde es für die Mitglieder der Familie zunehmend schwerer. Bereits 1934 wurde ihnen die Lizenz für den Viehhandel entzogen. 1936 gehörte die Metzgerei Leffmann zu den verbliebenen zehn jüdischen Metzgereien in Mülheim. Das Haus in der Düsseldorfer Straße wurde zum Rückzugsort für die ganze, verzweigte Familie. Ab 1936 waren alle Mitglieder dort gemeldet. Am 1. Juli 1938 musste jedoch auch die Metzgerei auf Druck der Behörden geschlossen werden. Diese Repressionen, Berufsverbote und Stellenverluste zwangen die Mitglieder der Familie, ihren Lebensunterhalt mit ungelernten Tätigkeiten zu verdienen. Eduard, der Ingenieur, wird in Deportationsdokumenten als Hilfsschlosser geführt, Albert, der Techniker und spätere Kaufmann als Chauffeur. Dagoberts Frau Gertrud arbeitete als Verkäuferin in anderen Geschäften, bis sie auch diese Tätigkeit nicht mehr ausüben durfte. Dagobert selbst arbeitete im August 1938 als Tiefbauarbeiter bei der Firma Mackscheidt und verrichtete später bei anderen Bauunternehmen und in der Lederindustrie schwere und ungesunde Arbeiten.
Nach der Reichspogromnacht am 9. November 1938 veränderte sich die Lage der Familie rapide.
Am 17. November wurden Manfred und Albert verhaftet und, wie viele andere Mülheimer Juden, im Konzentrationslager Dachau interniert. Beide kamen zwar bereits im Januar 1939 wieder frei, waren aber in der Haft unter Druck gesetzt worden, das Land zu verlassen. Daraufhin emigrierten Albert und seine Frau Berta am 19. März 1939 nach Brüssel und wohnten dort in Molenbeek-Saint-Jean in der Cité Sotteau 36, später in der Rue Potagère 135 in Saint-Josse. Manfred meldete sich am 15. April 1939 zur Auswanderung in die USA ab. Ob er dort angekommen ist und wie sein weiteres Leben verlaufen ist, ließ sich nicht recherchieren.
Nach dem Auszug der beiden Brüder wurde das Haus in der Düsseldorfer Straße 16 von der Mülheimer Verwaltung zum Judenhaus deklariert, in das andere aus ihren Wohnungen verdrängte Juden der Stadt eingewiesen wurden.
1942 begannen dann die Deportationen in die besetzten Länder im Osten Deutschlands.
Eduard erhielt im April 1942 ein amtliches Schreiben, nach dem er sich im Barackenlager Holbeckshof in Essen-Steele einzufinden habe. Von dort wurde er am 21. April mit 350 anderen Juden aus dem Essener Raum nach Düsseldorf und am Folgetag mit dem Transport Da52, zusammen mit 942 Juden aus dem Rheinland, in das überfüllte Ghetto von Izbica in Ostpolen deportiert. Bis Ende Oktober 1942 wurden die Verschleppten in Vernichtungslager weitertransportiert, in den meisten Fällen nach Sobibor. Mit Stichtag 8. Mai 1945, dem Kriegsende, wurde Eduard Leffmann später für tot erklärt.
Louis und die verwitwete Rosalie wurden am 21. Juli mit dem sogenannten „Altentransport“ VII/1 von Düsseldorf ins Ghetto Theresienstadt in Tschechien verbracht. Louis blieb dort nicht lange, sondern wurde bereits am 26. September mit ca. 2.000 anderen, älteren Juden im Transport Br zum Vernichtungslager Treblinka in Ostpolen transportiert. Direkt nach Ankunft des Zuges am 28. oder 29. September wurden die Deportierten in die Gaskammern geführt, niemand überlebte. Louis' Schwester Rosalie muss in Theresienstadt erkrankt sein und entging dadurch der Deportation ins Vernichtungslager. Sie starb im Ghetto am 29. Dezember 1942, laut Todesfallanzeige an „Enteritis-Darmkatarrh“. Rosalie Jacobs und Louis Leffmann wurden nach dem Krieg mit Stichtag 8. Mai 1945 für tot erklärt. Ihre Leidenswege nach der Deportation in das Ghetto Theresienstadt waren damals noch nicht bekannt.
Emilie blieb das Deportationsschicksal ihrer drei Geschwister erspart. Sie war bereits am 30. Januar 1941 im Haus in der Düsseldorfer Straße verstorben, wo sie ihr ganzes Leben verbracht hatte.
Nachdem die Deutschen im Mai 1940 Belgien besetzt hatten, war auch Brüssel kein sicherer Ort für die emigrierten Albert und Berta mehr. Am 18. Januar 1943 verhaftete man sie und internierte sie mit anderen belgischen und aus Deutschland emigrierten Juden in der Kaserne Dossin in Mechelen. Am 19. April wurden sie mit dem Transport XX direkt ins Konzentrationslager Auschwitz transportiert, wo sie am 22. April eintrafen. Bertas Spur verliert sich dort und sie wurde nach dem Krieg mit Wirkung zum 8. Mai 1945 für tot erklärt. Albert wurde nicht sofort getötet, sondern zu Zwangsarbeit herangezogen, wodurch er bis zur Räumung des Lagers vor den vorrückenden Truppen der Roten Armee im Januar 1945 überlebte. Er überlebte sogar die unter unmenschlichen Bedingungen durchgeführte Verlegung der verbliebenen Häftlinge in andere Lager. Am 26. Januar 1945 erreichte er das Konzentrationslager Buchenwald in Thüringen. Zwei Jahre Zwangsarbeit in Auschwitz und der „Todesmarsch“ nach Buchenwald hatten ihn jedoch sehr geschwächt. Am 10. April 1945 wurde er auf die Krankenstation des Konzentrationslagers gebracht. Dort verstarb er am 13. April – zwei Tage nach der Befreiung des Lagers durch amerikanische Truppen. Auf seiner Totenmeldung ist „Herzmuskelschwäche bei inf. Darmkatarrh“ als Todesursache angegeben.
Dagobert schützte die Ehe mit der Nichtjüdin Getrud. Diese Verbindung wurde von den Machthabern als „Mischehe“ eingestuft und bewahrte ihn in den ersten Kriegsjahren vor der Deportation. Es bedeutete aber auch, dass die Familie am 19. April 1939 das mittlerweile zum „Judenhaus“ deklarierte Metzgereigebäude verlassen und zu Getruds Eltern an den Kassenberg 33 ziehen musste. Als man Ende 1944 begann, auch Juden aus Mischehen zu deportieren, entzog sich Dagobert der drohenden Verhaftung durch Flucht und tauchte bis zum Kriegsende auf einem Bauernhof in Süddeutschland unter. Nach dem Krieg kehrte er nach Mülheim zurück und übernahm wieder die Metzgerei in der Düsseldorfer Straße 16. Er ließ sie 1952 als koschere Metzgerei zertifizieren und unterhielt zweitweise Filialen in Eppinghofen und Styrum. 1963 setzte er sich in Adenau in der Eifel zur Ruhe, wo er am 26. November 1971 verstarb.
Anmerkung: Es ist nicht ersichtlich, warum Rosalie Jakobs, geborene Leffmann, ältere Schwester von Louis und Eduard, ebenfalls zuletzt vor ihrer Deportation in der Düsseldorfer Straße 16 wohnend, separat behandelt wurde - mit eigenem Text. Sie wurde hier in den Familientext Leffmann mit aufgenommen.
Verlegeort Düsseldorfer Straße 16
Verlegedatum 2. März 2010
Verfasst von C. Miller