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Familie Martin Meyer

Martin Meyer wurde am 12. Januar 1890 als Sohn des jüdischen Metzgermeisters Levi Meyer und seiner Frau Selma, geborene Simson, in Mülheim an der Ruhr geboren. Anders als seine beiden jüngeren Brüder machte er keine Metzgerlehre. Er absolvierte die Oberrealschule (heute Karl-Ziegler-Schule), machte eine gute sogenannte Ober­sekundareife und wurde Bank­kaufmann. Im November 1920 heiratete er die aus Mülheim-Broich stammende Hedwig Sophia Kaufmann, geboren am 9. Dezember 1891, deren bereits 1914 verstorbener Vater Moses Kaufmann ebenfalls eine Metzgerei betrieben hatte, die jetzt von Hedwigs Bruder Adolf geführt wurde. Das Ehepaar wohnte zunächst in der Nähe der Kauf­mann’schen Metzgerei im Haagerfeld 6. Dort kam am 1. Januar 1922 Tochter Ursula zur Welt.

Zu diesem Zeitpunkt war Martin bereits Direktor der Mülheimer Filiale der Disconto-Gesellschaft, der damals zweitgrößten Bank im Deutschen Reich. Seit 1924 wohnte die junge Familie dann auch in einer Dienstwohnung in der Bankfiliale in der Bahn­straße 25. 

Bei dieser Adresse handelt es um das ehemalige Bankhaus Hanau. Es ist auch heute noch das dominierende Gebäude in der Bahnstraße. Anfang der 1880er Jahre war es vom jüdischen Bankier Gustav Hanau als repräsentativer Sitz für sein wachsendes, privates Geldinstitut errichtet worden. Nach Norden hin baute der Rennsportliebhaber Hanau einen Pferdestall an und erreichte, dass die Rheinische Bahn, die hinter dem Garten seines Bankhauses verlief, anhielt, wenn seine Rennpferde zu auswärtigen Rennen transportiert werden mussten. Bis 1929 blieb das Haus in der Bahnstraße 25 eine Bank, wenn auch die Eigentümer wechselten: Das Bankhaus Hanau wurde 1897 zur Rheinischen Bank, die dann 1915 von der Disconto-Gesellschaft Berlin über­nommen wurde. Als die Disconto-Gesellschaft 1929 mit der Deutschen Bank fusio­nierte, verlor das Gebäude seine Filialfunktion, aber Martin behielt als Bankdirektor seine Wohnung dort. 

Schon im Jahr der nationalsozialistischen Machtergreifung wurden die drei jüdischen Vorstandsmitglieder der fusionierten Deutsche Bank und Disconto-Gesellschaft, Oscar Wassermann, Georg Solmssen und Theodor Frank, aus ihren Ämtern gedrängt und es dauerte kein Jahr, bis die übrigen jüdischen Führungskräfte des Unternehmens ebenfalls ihrer Posten enthoben worden waren. Für Martin bedeutete das gleichzeitig den Verlust der Dienstwohnung. Die Familie kam am 15. November 1933 kurzfristig in der Löhstraße 55 unter und zog am 16. Juni 1934 in das der früheren Bankfiliale gegenüberliegende Haus Bahnstraße 44, das dem jüdischen Kaufmann Karl Kauf­mann gehörte. Als dieser 1936 nach Rotterdam und 1938 in die USA emigrierte, wurde die Bahnstraße 44 zum Judenhaus erklärt und zunehmend mit aus ihren Wohnungen verdrängten Juden belegt. Seit 1934 wird Martin nicht mehr als Bankdirektor, sondern als Bankdirektor a. D. oder als Kaufmann geführt (z.B. im Adressbuch oder auf dem Schulzeugnis von Tochter Ursula) und war als Hypotheken- und Immobilienmakler tätig.

Die Einschulung der Tochter Ursula erfolgte zu Ostern 1928 in die Schule an der Auerstraße. Anschließend besuchte sie die Dickswallschule und von 1932 bis 1933 die städtische Mädchenmittelschule. Ab Ostern 1933 ging Ursula zum Mädchen­gymnasium (Lyzeum), der heutigen Luisenschule. Nach der Quarta, im März 1936, musste sie diese Schule allerdings verlassen. Der Besuch einer anderen, öffentlichen Schule dürfte für sie unmöglich gewesen sein, da der Zugang jüdischer Schüler zu weiterführenden Schulen zunehmend beschränkt wurde. 

Am 17. November 1938, unmittelbar nach der Reichspogromnacht, wurde Martin für knapp einen Monat im Konzentrationslager Dachau in „Schutzhaft“ genommen – zusammen mit dem Bruder seiner Frau, dem Metzger Adolf Kaufmann, und mit anderen Mülheimer Juden. Martins Schwager Adolf wurde nach der Rückkehr aus dem Konzentrationslager gezwungen, sein Haus und seine Metzgerei in Broich zu verkaufen und ebenfalls in die Bahnstraße 44 zu ziehen. 

Diese Ereignisse veranlassten die Familien Meyer und Kaufmann zur Auswanderung. Diese Möglichkeit bestand nur für besser gestellte Juden, denn sie mussten knapp die Hälfte des vorhandenen Vermögens als Reichsfluchtsteuer und Judenvermögens­abgabe an das Finanzamt zahlen, um eine Ausreisebewilligung zu erhalten. Obwohl der zweite Weltkrieg bereits begonnen hatte, konnten die beiden Familien am 17. November 1939 in das zu diesem Zeitpunkt noch neutrale Luxemburg ausreisen. Dort siedelten sie sich in der Nähe der Hauptstadt an, in der Gemeinde Walferdingen, wo sich bereits einige aus dem Reichsgebiet emigrierte Juden niedergelassen hatten. Martin ist von dort aus offensichtlich einer Beschäftigung in Luxemburg (Stadt) nach­gegangen, zu der allerdings keine Details bekannt sind. Im Mai 1940 wurde auch Luxemburg von deutschen Truppen besetzt, und die Maßnahmen gegen Juden auch auf dieses Land ausgedehnt. Hedwigs Bruder Adolf und seine Frau wurden am 16. Oktober 1941 mit dem ersten Deportationszug von Luxemburg ins Ghetto Litzmannstadt (Łódź) in Polen deportiert.

Martin, Hedwig und Ursula erhielten im März 1943 die behördliche Aufforderung, sich in dem im Norden Luxemburgs befindlichen Sammelpunkt Fünfbrunnen einzufinden, einem ehemaligen Kloster, das schon länger als Unterbringungsort für alte und wohnungslose Juden genutzt wurde. Am 6. April ging von dort aus ein Transportzug mit 97 Juden aus Luxemburg über Düsseldorf und Dortmund ins Konzentrationslager Theresienstadt im heutigen Tschechien. Er hatte die Identifikationsnummer „X/2“ und kam am 10. April 1943 am Ziel an. Während des 18-monatigen Aufenthalts der Meyers in Theresien­stadt wurde dieses Konzentrationslager zu einer Art „Musterghetto“, mit teilweiser Selbstver­waltung und einem breiten, kulturellen Angebot. Sogar ein Propagandafilm („Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“) wurde im September 1944 dort gedreht. Kurz nach Ende der Dreharbeiten wurde dann mit der Deportation der Lagerinsassen begonnen. Fast 20.000 von ihnen wurden in nur drei Monaten ins Vernichtungslager Auschwitz gebracht, so auch Martin mit dem Transport „Er“ am 16. November 1944 und Hedwig und Ursula drei Tage später mit dem Transport „Es“. Die meisten Depor­tierten wurden direkt vom Ankunftsbahnhof in die Gaskammern geführt. 

Nach dem Krieg wurde die gesamte Familie Meyer mit Datum vom 31. Dezember 1945 für tot erklärt.

 

Verlegeort Bahnstraße 44

Verlegedatum 18. Dezember 2004 [Ursula Meyer] / 2. März 2010 [Martin und Hedwig Meyer]

Verfasst von AG Stolpersteine der Realschule Stadtmitte [Ursula Meyer] / C. Miller [Martin und Hedwig Meyer]