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Karl von den Steinen

Als Sohn des Arztes Dr. Carl von den Steinen wird Karl am 7. März 1855 in Mülheim an der Ruhr, Eppinghofer Straße 5, geboren. Bereits im Alter von zwei Jahren verliert er seine Mutter nach der Geburt des Bruders Ernst. Karl lebt bei seinen Großeltern in Wülfrath. Dort besucht er auch die Volksschule und wechselt zum Gymnasium in Düsseldorf, wo sein Vater mittlerweile einen neuen Wohnsitz genommen hat. Nach seinem vorzeitig abgelegten Abitur - Karl ist gerade 17 Jahre alt - studiert er in Bonn, Zürich und Straßburg Medizin, promoviert im Alter von zwanzig Jahren "Über den Anteil der Psyche am Krankheitsbild des Veitstanzes", spezialisiert sich als Psychiater in Wien und wird 1878 Assistenzarzt an der Berliner Charité. Die überaus früh abgelegte Reifeprüfung und die nachfolgenden frühen medizinischen Examina zeigen uns Karl von den Steinen einige Jahre lang als jüngsten Arzt in Preußen. Zur Erweiterung seiner Studien an geistig Behinderten begibt er sich 1879 bis 1881 auf eine Weltreise und besucht die "Irrenanstalten" in den Kulturstaaten.

Forschungsreisen

Auf Hawaii begegnet er dem Naturforscher und Völkerkundler Adolf Bastian (1826-1905) aus Berlin. Der, ebenfalls Mediziner, gewinnt den 25jährigen Arzt für die Völkerkunde. Mediziner bieten offenbar gute Voraussetzungen für die Erforschung unbekannter Völker. Zunächst nimmt Karl von den Steinen 1882/83 als Arzt und Naturforscher an einer deutschen Polarexpedition nach Südgeorgien teil, geht jedoch während der Rückreise in Montevideo (Uruguay) von Bord und startet im Frühjahr 1884 seine erste eigene Forschungsreise in den subtropischen Urwald Zentralbrasiliens. Das unerschlossene Quellgebiet des Rio Xingú, ein südlicher Zufluss des Amazonas, sollte für eventuelle Schifffahrt erforscht, geographische Messungen durchgeführt sowie Artefakte für das Völkerkundemuseum gesammelt werden. Am Flusslauf des 2200 km langen Xingú kommt es zu Erstbegegnungen mit verschiedenen indianischen Ureinwohnern.

Die zweite Expedition in das Xingu-Gebiet (1887) dient wesentlich anthropologischem Interesse: Erfassung und Beschreibung der am Flusslauf lebenden Urwaldvölker, vornehmlich deren Lebensweise und Sprache. Vor allem die zweite Expedition wird in Berlin als großer Erfolg gefeiert. "In Deutschland geht ein Stern am Himmel der Völkerkunde auf" - hält die Vossische Zeitung fest. Für Karl von den Steinen bedeutet sie den wissenschaftlichen Durchbruch. Die Universität Halle verleiht ihm den Ehrendoktortitel. Die Berliner Gesellschaft für Erdkunde bestellt ihn zu ihrem Zweiten Vorsitzenden. Und das Museum für Völkerkunde erfährt einen mächtigen Zuwachs an Exponaten indigenen Schaffens.

Seine letzte große Reise führt ihn zu den Marquesas-Inseln (heute Französisch-Polynesien), die er im Spätsommer 1897 erreicht. Auf der pazifischen Inselgruppe südwestlich von Hawaii lebt er 1897/98 ein halbes Jahr unter Eingeborenen. Er betreibt Sprachstudien, deutet erstmalig die motivreiche Nadelstechkunst der Südseeinsulaner (Tattoos), die er in den Jahren 1925/28 in einem umfangreichen dreibändigen Werk "Die Marquesaner und ihre Kunst" veröffentlicht.

Universitätslehrer, Museumsdirektor, Privatgelehrter

Nach zwei Forschungsreisen in die zentralbrasilianischen Tropen stellt sich für Karl von den Steinen die Frage nach seiner beruflichen Zukunft. An die Wiederaufnahme der Tätigkeit als Psychiater denkt er nicht; denn "die Liebe zum Gegenstand (sc. der Ethnologie) ist mit der längeren Beschäftigung nur gewachsen-" Im Jahre 1889 habilitiert sich der Mülheimer Gelehrte an der Berliner Friedrich-Wilhelm-Universität über das Thema "Erfahrungen zur Entwicklungsgeschichte des Völkergedankens" und wird 1891 an der Philipps-Universität zu Marburg Extraordinarius - nachdem er sich im Jahr zuvor umhabilitiert hatte. Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts erlebt ihn die gelehrte Ethnologenzunft in einer Doppelrolle: 1900 Universitätslehrer an der Friedrich-Wilhelm-Universität zu Berlin und Direktor am Ethnologischen Museum für die Sammlungen Südamerikas (1904). Dazwischen liegt die Veröffentlichung seiner umfangreichen Forschungsergebnisse "Unter den Naturvölkern Central-Brasiliens" (1894). Er gibt bereits 1905/06 auf eigenen Wunsch Hochschultätigkeit und Direktorenamt auf, um fortan die unabhängige Existenz eines Privatgelehrten zu führen. Im Alter von 51 Jahren beginnt er wiederum eine rege Reisetätigkeit, um vergleichende ethnologische Studien in den völkerkundlichen Museen ganz Europas und der Vereinigten Staaten von Amerika zu betreiben. Die Amerikaner danken es ihm später durch einen großzügigen Zuschuss für den Druck seiner dreibändigen Monographie über die Marquesaner. Am 4. November 1929 stirbt Karl von den Steinen 74jährig in Kronberg im Taunus. Sein Urne ruht im Kolumbarium der Familien Vohsen/von den Steinen auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde zu Berlin.

Der ethnologische Ertrag

Karl von den Steinen legt die europäische Kultur- und Zivilisationsbrille ab. Einfachheit, Sittlichkeit, monogame Lebensform, Arbeitsfleiß, Ausdauer und Friedfertigkeit der ansässig lebenden Ureinwohner Zentralbrasiliens werden betont. Für den Ethnologen befinden sich die Xingú-Bewohner auf der Kulturstufe steinzeitlichen Niveaus. Daher spiegeln sie Teil einer frühen Menschheitsgeschichte wieder, die andere Gesellschaften bereits überwunden hatten. Kultur und Evolution haben sich in der Menschheitsgeschichte immer wieder gegenseitig beeinflusst. Wer kulturell bestimmtes Verhalten als Lernen und Weitergabe erworbener Eigenschaften versteht, der würdigt die kulturellen Leistungen der Indianer, zu denen sie trotz ihres einfachen Lebens fähig sind. Das ist umso bemerkenswerter, als sie weder Schrift noch Rad, noch Metall kennen. Die vorurteilslose Beobachtung lehrt uns, dass es Wilde, Primitive überhaupt nicht gibt. Noch heute sind seine Bücher Standardwerke der internationalen Ethnologie. Karl von den Steinen, so resümieren wir, hat wahrhaftig seinen Fußabdruck im ethnologischen Boden der Geschichte hinterlassen.