Sorry, you need to enable JavaScript to visit this website.
Direkt zum Inhalt

Otto und Helmut Rosenbaum

Otto Rosenbaum wurde am 2. Juni 1894 in Mülheim an der Ruhr als Sohn des Salomon Rosenbaum und seiner Frau Johanna, geborene Kaufmann, geboren. Beide waren jüdischen Glaubens und Mitglieder der Mülheimer jüdischen Gemeinde. Sie bewohnten ein großes Haus in der Josefstraße 37, in dem sie eine Kohlehandlung und einen Getränkeabfüllbetrieb mit Flaschenbierhandlung betrieben, die auf Johannas Namen liefen.

Otto hatte acht Geschwister: 

Die älteste Schwester Rosa wurde 1887 geboren. Sie war verheiratet mit Wilhelm Jakob Dörflinger und lebte bis zu ihrer Deportation nach Theresienstadt in Oberwinter am Rhein. Das Ehepaar Dörflinger ist später wieder nach Mülheim zurückgekehrt und hat auf der Heißener Straße 39a gewohnt. Rosa starb hier 1973.

Gustav, der älteste Bruder, geboren 1889, diente als Soldat beim 12. Infanterie-Regiment 171 im Ersten Weltkrieg und fiel bereits in den ersten Kriegswochen. Er wurde am 28. September 1914 gerichtlich für tot erklärt. Sein Name ist auf der Gedenktafel für die Mülheimer jüdischen Gefallenen des Ersten Weltkriegs verewigt, die heute in der Synagoge in Duisburg hängt. 

1890 kam seine Schwester Jeannette zur Welt. Sie heiratete den Friseurmeister Reinicke aus Dinslaken und starb dort 1970.

Antonie, geboren 1891, wurde 1941 zusammen mit ihrer Tochter Ruth ins Ghetto Riga deportiert, wo sie kurz nach der Befreiung starb. 

Sein eineinhalb Jahre älterer Bruder Arthur war Soldat im Ersten Weltkrieg und arbeitete danach zuerst in der elterlichen Kohlehandlung und später als Bäcker. Er war Funktionär der KPD, wurde 1942 ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert und dort ermordet. Seine Ehefrau Mathilde, geborene Lindemann, überlebte den Holocaust, heiratete später Heinrich Steinberg und wanderte 1946 nach Casablanca in Marokko aus. Eine Enkelin, Monique Charlesworth, lebt in England und beschreibt in ihrem Buch „Mother Country“ die Geschichte der Familie.

1895 wurde Ottos Schwester Amalie geboren. Sie heiratete 1920 den aus Styrum stammenden Emil Land und starb 1978 in Mülheim.

Sein jüngster Bruder, Hermann, starb 1901, als er ein Jahr alt war und wurde auf dem Mülheimer jüdischen Friedhof beigesetzt. 

Ottos jüngste Schwester war Gerta Alwine und wurde 1903 geboren. Sie heiratete hier 1927 den Schneidermeister Wolf Hersz Zylberminc und emigrierte mit ihm 1934 nach New York.

Die Todesumstände von Ottos Vater Salomon waren unklar. Er wurde am 22. Oktober 1912 zum letzten Mal lebend gesehen. Deshalb beurkundete das Standesamt am 19. Januar 1913 seinen Tod auf Mitteilung der Kriminalpolizei auf diesen Tag. Johanna führte den Betrieb in der Josefstraße 37 alleine weiter. 

Nicht lange nach dem Verschwinden seines Vaters lernte Otto Luise Pallasch kennen. Sie war drei Jahre älter als er, geboren am 26. November 1891. Luise stammte aus Jeromin in Masuren aus einer evangelischen Familie, lebte aber mittlerweile in Duisburg und arbeitete dort als Fabrikarbeiterin. Am 20. Mai 1914 kam ihr gemeinsamer Sohn Helmut zur Welt. Nach der Hochzeit in Duisburg am 17. Januar 1916 zog die junge Familie nach Mülheim in das Geschäftshaus von Ottos Familie. Da dieser als Musketier im I. Ersatzbataillon des Infanterie Regiments 137 im Krieg war, fand die Hochzeit während eines Fronturlaubs des Bräutigams statt. Nach der Rückkehr aus dem Krieg stieg Otto zusammen mit seinem Bruder Arthur in das Kohlegeschäft seiner Mutter mit ein. Am 20. Juni 1920 wurde Tochter Edith geboren. Die Kinder wurden nach ihrer Mutter evangelisch erzogen. 

Im Jahr 1922 wurden Otto und Arthur zusammen mit anderen vor dem Amtsgericht Duisburg wegen „Kohleschieberei“ in den Jahren 1920 bis 1921 angeklagt. Arthur wurde zu vier Monaten Haft verurteilt, während Otto wegen geringfügiger Beihilfe straffrei blieb. In den Folgejahren wurden beide immer wieder wegen kleinerer Delikte straffällig. Otto führte die Kohlehandlung zunächst allein mit seiner Mutter Johanna fort. Mitte der zwanziger Jahre verkaufte diese aber die Immobilie an die Firma Thyssen, die das benachbarte Walzwerk betrieb und zusätzliche Werkswohnungen benötigte. Johanna zog nach dem Verkauf des Geschäfts in die Eppinghofer Straße 113 und lebte dort bis zu ihrem Tod 1937. Sie wurde auf dem jüdischen Friedhof bestattet, in der Grabstelle, die ihrem 1912 verschollenen Ehemanns gesetzt worden war.

Otto zog 1926 mit seiner Familie nach Styrum in die Neustadtstraße 82a, wo er den Kohlehandel fortsetzte und wo am 27. Dezember 1929 ihr drittes Kind Hans-Joachim zur Welt kam. Zu dieser Zeit muss Otto den Handel bereits aufgegeben haben, ausgelöst vermutlich durch die Weltwirtschaftskrise, denn in den Adressbüchern ab 1931 ist er als „o(hne) G(eschäft)“ bzw. als Fabrikarbeiter eingetragen. Er engagierte sich in all diesen Jahren in der KPD, ohne jedoch wichtige Parteiämter zu bekleiden, wie es sein Bruder Arthur tat. 

Deshalb wurde er am 1. März 1933, unmittelbar nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten, festgenommen und im Polizeigefängnis Mülheim inhaftiert. Nach einem Monat wurde er in das Konzentrationslager Anrath am Niederrhein verlegt, aus dem er erst im Oktober wieder entlassen wurde. Der Verlust der Kohlehandlung, die Inhaftierung und die darauffolgende, ständige Observierung durch die Behörden führten dazu, dass die Familie Rosenbaum zunehmend den Boden unter den Füßen verlor. Sohn Helmut wurde 1934 wegen Betrugs und im Februar 1936 wegen Diebstahls verurteilt. Otto sammelte ebenfalls weitere Strafen für kleinere Delikte, wie Unterschlagung, Hehlerei oder Landfriedensbruch. Gleichzeitig setzte er die Unterstützung der jetzt im Untergrund agierenden KPD fort, denn er wurde auch für das Verteilen von Flugblättern und Widerstand gegen die Staatsgewalt bestraft. Im April 1935 verlor die Familie ihre Wohnung in der Neustadtstraße und musste in städtischen Wohnraum in der Hofstraße 61 umziehen. Im Oktober landeten sie dann sogar im Obdachlosenasyl in der Arndtstraße 80.

Edith hatte im April 1935 die Volksschule in Styrum abgeschlossen und fand im Dezember desselben Jahres eine Stelle als Hausangestellte bei einer jüdischen Familie in Duisburg, wo sie auch wohnte.

Als im Juli 1937 der Familie Rosenbaum eine städtische Wohnung für Obdachlose in der Hindenburgstraße 132 (heute Friedrich-Ebert-Straße) zugewiesen wurde, konnte sie das Asyl in der Arndtstraße verlassen. Danach aber wendete sich alles gegen sie.

Im Februar 1937 wurde Otto aus nicht bekannten Gründen im Polizeigefängnis Mülheim inhaftiert. Im September erfolgte die Verurteilung von Helmut, der mittlerweile eine Stelle als Tiefbauarbeiter bei der Firma W. Mackscheidt gefunden hatte, zu fünf Wochen Gefängnis wegen Körperverletzung, da er sich mit einem SA-Mann geprügelt hatte, weil der seine Mutter als „dreckiges Judenweib“ beschimpft hatte. 

Am 22. Juni 1938 wurden Otto, der noch immer im Polizeigefängnis saß, und Helmut Rosenbaum im Rahmen der „Aktion Arbeitsscheu Reich“ mit der Eingruppierung „Asozial/Jude“ ins Konzentrationslager Sachenhausen eingeliefert (Häftlingsnummer Otto: 5069, Helmut: 5083). Bei dieser Aktion wurden in zwei Verhaftungswellen mehr als 10.000 „Asoziale“ ohne Gerichtsbeschluss in Konzentrationslagern interniert. Dies waren sogenannte Landstreicher, Wohnungslose, Prostituierte, Arbeitsverweigerer und Personen mit einem Vorstrafenregister. Als Juden, Sympathisanten der kommunistischen Partei, zeitweise ohne Arbeit, im städtischen Obdach lebend und mehrfach vorbestraft, gehörten die Rosenbaums zur Zielgruppe.

Am 20. September 1941 wurde Otto in das als Nebenlager des Konzentrationslagers Sachsenhausen neu errichtete Konzentrationslager Groß-Rosen in Schlesien verlegt (Häftlingsnummer: 1208). Dieses Lager hatte die SS direkt neben einem von ihr betriebenen Steinbruch errichtet. Die harte Arbeit im Steinbruch und vielleicht auch seine durch lange Haft bereits geschwächte Konstitution führten zu häufigen Krankschreibungen. Deshalb kam Otto im Dezember 1941 unter der Kategorie „Jude/arbeitsscheu“ auf eine Liste von ursprünglich 300, später noch circa 150 arbeitsunfähigen Konzentrationslager-Häftlingen, die in der sogenannten „Euthanasieanstalt“ Bernburg in Sachsen liquidiert werden sollten. Nach der öffentlichen Intervention des Bischofs von Münster, Clemens Kardinal von Galen, war die vom nationalsozialistischen Regime Anfang 1939 begonnene Tötung von Behinderten (als „unwertes Leben“) ins Stocken gekommen und die aufgebauten „Tötungskapazitäten“ nicht ausgelastet. Man wollte sie deshalb für die Beseitigung von „unproduktiven“ Konzentrationslager-Häftlingen nutzen. Der Transport der selektierten Häftlinge vom Konzentrationslager Groß-Rosen in die Tötungsanstalt Bernburg war für den 23. März 1942 vorgesehen. Otto Rosenbaum war zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht mehr transportfähig. Er verstarb am 25. März 1942 im Lager. Laut Angaben im Sterbebuch des Standesamtes Groß-Rosen, soll er an einem Prostatakarzinom gestorben sein, einer sehr unwahrscheinlichen Todesursache bei einem 50-Jährigen.

Ottos Sohn Helmut wurde als „Halbjude“ nach gut einem Jahr Haft im Konzentrationslager Sachsenhausen, am 2. November 1939, wieder nach Hause entlassen. Nach eigenen Angaben half ihm dabei eine Intervention des Berliner Probstes Heinrich Grüber, der sich erfolgreich für Juden evangelischen Glaubens einsetzte. Helmuts ehemaliger Arbeitgeber W. Mackscheidt stellte ihn wieder ein. Ab Februar 1942 wurde er auf militärischen Baustellen in Osteuropa und Russland (unter anderen in Mogilew im heutigen Belarus) eingesetzt, da die Firma Mackscheidt als Subunternehmer für die staatliche Bauorganisation Todt tätig war. Am 15. Oktober 1944 wurde Helmut auf Druck der Organisation Todt von seiner Firma als „politisch unzuverlässig“ entlassen und im Lager Brilon (Sauerland) der Organisation interniert. In den Wirren des Kriegsendes konnte er entkommen und sich im Mai 1945 den amerikanischen Truppen stellen. Unmittelbar danach, am 19. Mai 1945, heiratete er die mehr als zehn Jahre ältere Witwe Anna Kappelhoff, geborene Bindschuss und gründete mit ihr am 1. Juni 1945 ein Unternehmen für Transport und Altwarenhandel. Zusammen setzten sie das Haus in der Düsseldorfer Straße 43 instand, das Anna von ihrem verstorbenen, ersten Mann geerbt hatte, und zogen am 1. April 1949 dort ein. Das gemeinsame Unternehmen hatte von Beginn an Finanzierungsprobleme. Helmut selbst litt unter den Folgen von Haft- und Kriegszeit und bekam dafür 1949 eine Erwerbsminderung zuerkannt. Außerdem wurde er in zwei Fällen wegen Beleidigung, Körperverletzung und Widerstand gegen die Staatsgewalt verurteilt. Als Anna sich am 20. Februar 1953 von ihm scheiden ließ, verlor er seine Wohnung und auch seine Anteile am Unternehmen und an der Immobilie. Er zog deshalb am 15. März zu seiner neuen Partnerin Marianne Stein zum Schultenberg 17. Bereits am 6. Oktober 1953 heirateten Helmut und Marianne. Nach dem Ausscheiden aus dem eigenen Unternehmen hatte Helmut verschiedene Anstellungen als Fahrer und als Hilfsarbeiter, die alle von relativ kurzer Dauer und immer wieder durch Phasen der Arbeitslosigkeit unterbrochen waren. Helmut und Marianne versuchten 1954 in Berlin Fuß zu fassen, kamen aber bald zurück und wohnten dann erst in der Steinmetzstraße 60 und ab 1961 in der Hohe Straße 14 in Styrum. 1979, nach Renteneintritt zogen sie nach Recklinghausen, Am Stadion 2, wo Helmut am 21. Oktober 1990 verstarb.

Ab Herbst 1938 war Ottos Frau Luise Rosenbaum mit ihrem jüngsten Sohn Hans-Joachim alleine, da ihr Mann und die beiden Kinder Helmut und Edith aus verschiedenen Gründen in unterschiedlichen Konzentrationslagern inhaftiert waren. Sie verlor deshalb die städtische Wohnung in der Hindenburgstraße 132. Nach einem einmonatigen Zwischenaufenthalt in der Eppinghofer Straße 103 zog sie am 11. Oktober 1938 in die Kohlenstraße 18. Ende 1939 wohnte Tochter Edith nach ihrer Entlassung aus dem Konzentrationslager Ravensbrück für einige Monate ebenfalls dort. 1941 zogen Mutter und Sohn Hans-Joachim dann in die Düsseldorfer Straße 16 nach Saarn, in das große Haus der Metzgerfamilie Leffmann, welches inzwischen zum Judenhaus erklärt worden war. Seit der Inhaftierung ihres Schwiegersohns Gustav Altgenug und ihrer Tochter Edith am 28. Februar 1943 lebte auch deren 16-Monate altes Kind Judith mit Haushalt und wurde von ihrer Großmutter Luise erzogen. Die drei erlebten das Kriegsende unversehrt und zogen kurz danach in die Düsseldorfer Straße 6. 

1946 übernahm Luise die Vormundschaft für ihre Enkelin Judith. Die Fünfjährige hielt sich im Sommer 1946 für einige Wochen zur Erholung im jüdischen Kinderheim Ochtmissen (bei Lüneburg) auf. Nach Verdacht auf Tuberkulose verbrachte sie ab Februar 1947 fast zweieinhalb Jahre „zur Stärkung“ in einem Kinderheim am Zürichsee (Kilchberg, Broelberg 43). 

Luises Gesundheit litt zunehmend an den Nachwirkungen der Vorkriegs- und Kriegszeit, dem ständigen Kampf um ihre Familie, aber auch an den Spätfolgen einer früheren Syphilisinfektion. Sie lebte von städtischen Unterstützungsleistungen und musste hartnäckig darum kämpfen, dass ihr Sohn, ihre Enkelin und sie selbst als „Hinterbliebene Rassisch Verfolgter“ anerkannt werden und damit Anspruch auf entsprechende Beihilfen bekommen. Als sie am 11. April 1951 aus ihrer Wohnung in der Düsseldorfer Straße geklagt wurde, wurden ihr, Hans-Joachim, der mittlerweile erfolgreich an der Ingenieurschule Duisburg Maschinenbau studierte, und Judith vom Amt für Wiedergutmachung eine Wohnung in der Tilsiter Straße 62 zugewiesen. Es war eine Genugtuung für Luise, dass sie am 9. September 1952 selbst als „Verfolgte der NS-Gewaltherrschaft“ anerkannt wurde. Gut ein Jahr später, am 10. Dezember 1953 starb sie 62-jährig an einem Schlaganfall. 


Hinweis: 2018 wurde von Anna Lena Höhne ein Film gedreht, der in Spielfilmszenen zum einen das Schicksal der Familie aufgreift, zum anderen dokumentarisch die Herangehensweise an die Recherche zu den Biografien zeigt. Auch die beteiligten Schülerinnen der AG Stolpersteine des Gymnasiums Broich schildern ihre Motivation zur Mitarbeit an diesem Projekt. Ein Link zum Film ist auf der Startseite zu den Stolpersteinen in Mülheim an der Ruhr zu finden.

 

Verlegeort Friedrich-Ebert-Straße 132

Verlegedatum 18. Mai 2018

Verfasst von AG Stolpersteine des Gymnasiums Broich, ergänzt und überarbeitet von Clemens Miller